Religion und Theologie
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Religion nie geschlagen, als die historische Eiegetik *) ihr jetzt
täglich schlägt.
Lessing [„Die Erziehung des Menschengeschlechts"^.
— Warum wollen wir in allen positiven Religionen nicht
lieber roeiter nichts als den Gang erblicken, nach welchem sich
der menschliche Verstand jedes Ortes einzig und allein entwickeln
können und noch ferner entwickeln soll, als über eine derselben
entweder lächeln oder zürnen? Diesen unfern Hohn, diesen
unsern Unwillen verdiente in der besten Welt nichts; und nur
die Religion sollte ihn verdienen? Gott hätte seine Hand bei
allem im Spiele, nur bei unsern Irrtümern nicht?
§ 1. Was die Erziehung bei dem einzelnen Menschen ist,
ist die Offenbarung bei dem ganzen Menschengeschlechts.
§ 2. Erziehung ist Offenbarung, die dem einzelnen Menschen
geschieht, und Offenbarung ist Erziehung, die dem Menschen-
geschlechte geschehen ist und noch geschieht.
§ 3. Ob die Erziehung aus diesem Gesichtspunkte zu be-
trachten in der Pädagogik Nutzen haben kann, will ich hier
nicht untersuchen. Aber in der Theologie kann es gewiß sehr
großen Nutzen haben und viele Schwierigkeiten heben, wenn
man sich die Offenbarung als eine Erziehung des Menschen-
geschlechtes vorstellt.
§ 4. Erziehung gibt dem Menschen nichts, was er nicht
auch aus sich selbst haben könnte; sie gibt ihm das, was er aus
sich selber haben könnte, nur geschwinder und leichter. Also
gibt auch die Offenbarung dem Menschengeschlechts nichts, worauf
die menschliche Vernunft, sich selbst überlassen, nicht auch kommen
würde, sondern sie gab und gibt ihm die wichtigsten dieser Dinge
nur früher.
§ 57. Es war die Zeit, daß ein anderes, wahres, nach
1) Die Erklärung und Deutung der Heiligen Schrift nach geschichts-
wissenschaftlichen Grundsätzen.
2) Erziehungslehre.