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das brauchte, was sie selbst der Natur abgewann! Über die S t a d t -
Wirtschaft des Mittelalters, da Wirtschaft und Gütertausch sich
auf das Stadtgebiet beschränkten, und die Volkswirtschaft
der Neuzeit, die ihren Kreis bloß über den Staat zog, haben wir die
Stufe der Weltwirtschaft erreicht. Sie steht im Zeichen des
Welthandels und des Weltverkehrs: wir kleiden uns etwa in Stoffe
aus indischer Baumwolle, essen Brot aus russischem
Roggen oder argentinischem Weizen, genießen Kaffee aus
Java, Wein aus Ungarn oder Apfelsinen aus Spanien, wir
arbeiten mit einer Schreibmaschine aus Frankreich oder einer
Nähmaschine aus Amerika und lesen eine englische Zeitung!
Fassen wir die wirtschaftlichen Haupterschei-
n u n g e n unserer Zeit zusammen, so ergeben sich als ihre Merkmale:
1. Die Steigerung der Gütererzeugung und die Ver-
mehrung des Volksvermögens. 2. Das Auftreten wirtschaftlicher
Vereinigungen (Genossenschaften), sowie eine ausgedehnte
Kreditwirtschaft. 3. Das Sinken der Preise als Folge
der Massenfabrikation und das Steigen der Löhne durch den
wachsenden Bedarf an Arbeitskräften; in gleichem Maße sinkt auch
der Wert des Geldes. 4. Das Sinken des Handwerks-
betriebes und das Anwachsen einer wirtschaftlich schwachen
Fabrikbevölkerung (soziale Frage). 5. Die Steigerung
der Lebensansprüche in allen Schichten der Nation.
§ 167» Das geistige Leben. DieWissenschaften blühen
in unserer Zeit, wie nie zuvor. Glänzend bewährt vor allem Deutsch-
land seinen Ruf als „Land der Denker". Einen gewaltigen Auf-
schwung haben die Naturwissenschaften genommen; kein
Gebiet, keine Erscheinung entzieht sich der Forschung der Gelehrten.
Mit großem Erfolge ringt die Medizin gegen die unsichtbaren
Feinde des menschlichen Lebens: Wundbrand, Tollwut und besonders
Diphtherie, einst der Würgengel der Kinderwelt, sind von ihr besiegt
worden, und mit heißem Bemühen sucht sie nach Mitteln gegen
Schwindsucht und Krebs. Auch die Chemie kommt der Volks-
gesundheit mächtig zu Hilfe.
Von den darstellenden Künsten strebt am mächtigsten
die B a n k u n st auf, die stark gefördert wird durch den wachsenden
Reichtum der Bevölkerung. Bemerkenswert ist die Vorliebe unserer
Zeit für Denkmäler und Steinschmuck jeder Art; sie bietet der Bild-
h a u e r e i ein reiches Feld der Betätigung. Namhaft sind die Lei-
stungen in der M a l e r e i, der schönsten der Künste; Künstler, wie
Menzel, der feine Schilderer der Wirklichkeit, B ö ck l i n, der
Meister stimmungsvoller Phantasiestücke, L e n b a ch , der große