348 Oestreichs Erhebung im Jahre 1809. § 609—610.
©rtmm, welche die Sagen und Märchen, die Religion und Sprache, die
Rechte und Gewohnheiten der germanischen Urzeit wieder an's Licht zogen. Die
Bruder Boifserke wiesen auf die Herrlichkeit der als barbarisch verspotteten
gothrschen Dome des Mittelalters hin, deren herrlichster Rest, der Kölner Dom,
in ihrer Vaterstadt nun auch gleich dem Straßburger auf einem zu Frankreich
geraubten Boden stand. Von den beiden Humboldts begann Alexander
nach seinen Reisen zu europäischem Ruhme zu steigen, während Wilhelm, der
Freund Schillers, den Sprach- und Geschichtssinn belebte, zugleich aber als
Staatsmann in Freundschaft mit Stein für Preußen wirkte. — Die großen
Dichter zwar waren schon zum Theil zur Ruhe gegangen; auch der vom deut-
schen Volk geliebteste, Schiller, war am 9. Mai 1805 gestorben. Einsam ragte
noch Göthens olympisches Haupt, mit immer neuen Ehren der Dichtkunst qe-
schmückt, und selbst von Napoleon mit Achtung begrüßt; aber von den Schmer-
zen wie von den Hoffnungen seines Volkes hatte er sich abgewandt. Dagegen
erwuchs ein jüngeres Geschlecht, in welchem sein hohes dichterisches Verständniß
für alles Schöne mit neuerwecktem vaterländischem Sinn sich paarte. Es waren
die sogenannten romantischen Dichter. Nicht ohne krankhafte Züge in ihrem
Wesen, sind sie doch ausgezeichnet durch das feine Verständniß für unsere alt-
deutsche Art und Kunst, wie durch ihre frische Begeisterung für unsere nationale
mittelalterliche Herrlichkeit. Zu ihnen zählen die Brüder Schlegel, Ludwig
Tlek und Novalis (Hardenberg), ferner der einsam stehende Heinrich von
Kleist, sowie Brentano und Achim von Arnim, welche Letztere in „des
Knaben Wunderhorn" eine Sammlung altdeutscher Lieder herausgaben. Auch
im übrigen Deutschland fehlte es nicht ganz an Vaterlandsgesang; der 20jährige
Uhland dichtete um 1811 seines „Sängers Fluch", in welchem zu dem blu-
tigen König, „an Land und Siegen reich," der aber gleichwohl ein „Fluch des
^ängerthnms" ist Napoleon zum Vorbild gedient hat. So sproßten immer
mächtiger unter der Eisdecke fremder Herrschaft die Keime zu einem Geistes-
frühling ohne Gleichen auf. Auch die Jugend fing an schon für künftige Kämpfe
sich zu stählen. Gerade unter dem fremden Druck begann Jahn in Berlin das
Turnen zu üben, auf daß im gesunden, geschmeidigen Leibe dem Jünglinge
auch eine freie, starke Seele gedeihen möge. — Dem deutschen, wie einst dem alt-
testamentlichen Volke Gottes, wandelte sich das Unglück zum Heil, die Strafe
zur Buße, die Schande zur Ehre.
15. Oestreichs Erhebung im Jahre 1809.
§ 619- So waren nach den Unglückstagen von Ulm und Austerlitz, von
-Sena und Anerstädt die Seelen des deutschen Volkes bereits in der Umstimmung,
der inneren Läuterung, der neuen, starkmuthigen Erhebung begriffen. In Preußen
hatten außerdem Stein und Scharnhorst die Mittel zu einem Volkskriege ge-
schaffen, und daß ein solcher zum letzten Ziel, zur höchsten Hoffnung Aller wurde,
dafür sorgten die noch immer nicht endenden, wie zur absichtlichen Pein und
Vernichtung ersonnenen Erpressungen und Bedrückungen des Feindes. Aber
auch Oestreich hielt sich von der großen Bewegung nicht ausgeschlossen, sondern
schien vielmehr jetzt der feste Boden werden zu sollen, wo die Wünsche und
Hoffnungen aller Vaterlandsfreunde wurzeln und zur That heranwachsen würden.
Auch Oestreich war nicht mehr das Oestreich der Thngut und Cobenzl. Die
große Wiedergeburt hatte auch hier Volk und Regierung ergriffen. — Graf
Philipp Stadion, geb. 1763, aus schwäbischem reichsritterlichem Geschlecht,
war dem östreichischen Kaiserstaate geworden, 'was Stein der preußischen Mon-
archie. Bald nach dem Frieden von Preßburg (§ 571) zum Minister berufen.