Full text: Geschichte des Altertums (Teil 3)

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Daraus und aus mehreren sicheren Anzeigen erkennen die Gelehrten Folgendes: 
die Erde ist nicht bloß eine ausgebreitete, rund abgeschnittene Flache, nein, sie ist eine 
ungeheure Kugel. Weiters: sie hängt und schwebt frei ohne Unterstützung, wie die 
Sonne und der Mond, in dem unermeßlichen Raum des Weltalls unten und oben 
zwischen lauter himmlischen Sternen. Weiters: sie ist rings um und um, wo sie 
Land hat und wo die Hitze oder der bittere Frost es erlaubt, mit Pflanzen ohne 
Zahl besetzt und von Thieren und vernünftigen Menschen belebt. Man muß nicht 
glauben, daß auf diese Art ein Theil der Geschöpfe mit dem Kopf abwärts hänge 
und in Gefahr stehe, von der Erde weg in die Luft herabzufallen. Dies ist lächer¬ 
lich. Uebcrall werden die Körper durch ihre Schwere au die Erde angezogen und 
können ihr nicht entlaufen. Ueberall nennt man unten, was man unter den Füßen 
hat, und oben, was über dem Haupt hinaus ist. Niemand merkt oder kann sagen, 
daß er unten sei. Alle sind oben, so lange sie die Erde unter den Füßen und den 
Himmel voll Licht oder Sterne über dem Haupt haben. 
Aber der geneigte Leser wird nicht wenig erstaunen, wenn ers zum erstenmal 
hören sollte, wie groß diese Kugel sei; denn der Durchmesser der Erde beträgt in 
gerader Linie von einem Punkt der Oberfläche durch den Mittelpunkt hindurch zum 
andern Punkt eintausend siebenhundert und zwanzig deutsche Meilen. Der Umkreis 
der Kugel aber beträgt fünftausend vierhundert deutsche Meilen, und eine Meile hat 
zwei Stunden. Ihre Oberfläche aber beträgt über neun Millionen Meilen ins Ge¬ 
vierte , und davon sind fast drei Viertel Wasser und ein Viertel Land. Ihre ganze 
Masse aber beträgt mehr als zweirauseud fünfhundert Millionen Meilen im Klafter¬ 
maß. Das haben die Gelehrten mit großer Genauigkeit ausgemessen und ausge¬ 
rechnet, und sprechen davon wie von einer gemeinen Sache. Aber Niemand kann die 
göttliche Allmacht begreifen, die diese ungeheuer große Kugel schwebend in der un¬ 
sichtbaren Hand trägt, und jedem Pflänzlein darauf seinen Thau und sein Gedeihen 
gibt, und dem Kindlein, das geboren wird, einen lebendigen Odem in die Nase. 
Man rechnet, daß tausend Millionen Menschen zn gleicher Zeit ans der Erde leben 
und bei dem lieben Gott in die Kost gehen, ohne das Gethier. Aber es kommt 
noch besser. 
Denn zweitens: die Sonne, so nahe sie zu sein scheint, wenn sie früh hinter 
den Bergen in die frische Morgenluft hinauf schaut, so ist sie doch über zwanzig Mil¬ 
lionen Meilen weit von der Erde entfernt. Weil aber eine solche Zahl sich ge¬ 
schwinder aussprechen, als erwägen und ansdenken läßt, so merke: wenn auf der 
Sonne eine scharf geladene Kanone stünde, und der Kanonier, der hinten steht und 
sie richtet, zielte auf keinen andern Menschen, als ans dich, so dürftest du deßwegen 
in dem nemlichen Augenblick, als sie abgebrannt wird, noch herzhaft ansangen, ein 
neues Haus zu bauen, und könntest darin essen und trinken und schlafen; könntest 
heiraten und vielleicht noch Kinder erleben. Denn wenn auch die Kugel in schnur¬ 
gerader Richtung und immer in gleicher Geschwindigkeit immer fort und fort flöge, 
io könnte sic doch erst nach Verfluß von ungefähr fünfundzwanzig Jahren von der 
Sonne hinweg auf der Erde anlangen, so doch eine Kanonenkugel einen scharfen 
Flug hat und zu einer Weite von sechshundert Fuß nicht mehr als den sechzigsten 
Theil einer Minute bedarf, nemlich eine Sekunde. 
Daß nun weiters die Sonne auch nicht bloß eine glänzende Fensterscheibe des 
Himmels, sondern, wie unser Erdkörper, eine schwebende Kugel sei, begreift man schon 
leichter. Aber wer vermag mit seinen Gedanken ihre Größe zu umfassen, nachdem 
Lesebuch.
	        
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