Full text: Neuere Geschichte von der Französischen Revolution bis zur Jetztzeit (Bd. 4)

— 106 — 
wiederherzustellen und die Kaiserwürde zu übernehmen, konnte der 
Heldenfürst diesem einhelligen Rufe von ganz Deutschland sein Ohr 
nicht mehr verschließen. Seit Neujahr 1871 gab es so wieder ein 
Deutsches Reich. Am 18. Januar 1871 wurde dann im Spiegelsaal 
zu Versailles, dem Ahnensaal Ludwigs XIV., König Wilhelm, um¬ 
geben von den Fürsten und Vertretern des deutschen Volkes, feierlich 
zum Deutschen Kaiser ausgerufen. Frankreich hatte seine 
vorherrschende Macht in Europa verloren; an seine Stelle trat 
Deutschland, national geeint unter dem Kaisertum der Hohenzollern. 
Dankbar erhob Wilhelm I. Bismarck in den Fürstenstand und 
schenkte ihm das Gut Friedrichsruh mit dem Sachsenwald. Moltke 
wurde Generalfeldmarschall. 
Die Verfassung des Deutschen Reiches. Das neue Deutsche Reich 
wurde nach dem Muster des Norddeutschen Bundes ein Bundes- 
staat von 25 Staaten nebst dem Reichsland Elfaß-Lothringen. An 
der Spitze des Reiches steht der jeweilige König von Preußen als 
Deutscher Kaiser. Er ist oberster Kriegsherr, vertritt das Reich 
anderen Staaten gegenüber (Kaiserliche Botschafter und Gesandte), 
schließt unter Zustimmung der Bundesstaaten Verträge und Bünd- 
nisse, ernennt die Reichsbeamten und entscheidet zusammen mit dem 
Bundesrat über Krieg und Frieden; im Falle eines Angriffs kann 
er auch allein den Krieg erklären. 
Der oberste Reichsbeamte ist der für die Regierungsmaßnahmen 
des Kaisers allein verantwortliche Reichskanzler, der gewöhn- 
lief) zugleich preußischer Ministerpräsident ist. Die ihm unterstellten 
Staatssekretäre, die den Ministern in den Einzelstaaten ent- 
sprechen, leiten die Reichsbehörden, wie das Auswärtige Amt, das 
Reichsamt des Innern, das Reichsmarineamt, das Reichsjustizamt, 
das Reichsschatzamt, das Reichspostamt, neuerdings das Reichs- 
kolonialamt. 
Der Wille der Bundesstaaten kommt zum Ausdruck im Bun- 
d e s r a t, einer Versammlung der einzelstaatlichen Regierungsver¬ 
treter unter dem Vorsitz des Reichskanzlers. Die Stimmenzahl 
richtet sich nach der Größe des betreffenden Landes; Preußen ver- 
fügt über 17, Bayern über 6 Stimmen usw. Elsaß-Lothringen hatte 
eine besondere Stellung als unmittelbares Reichsland und eine eigene 
Verwaltung unter einem kaiserlichen Statthalter; seit 1911 ist es 
jedoch ebenfalls im Bundesrat vertreten. Die Beschlüsse des Bundes- 
rates beziehen sich auf die dem Reichstage vorgelegten Gesetzentwürfe.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.