Full text: Abriß der Geschichte des Alterthums (Teil 1)

106 Fünfte Periode, von 31 v. Chr. bis 476 n. Chr. 
Tib erius' Reichsverwaltung. 
Der knechtische Sinn, der die Römer mit wenigen Ausnahmen beseelte, 
wie der Haß des Volkes gegen Tiberius gab der despotischen Denkart des 
Fürsten eine immer schroffere Richtung. Besonders berüchtigt wurden von 
jetzt an die Majestätsprocesse; doch wies Tiberius die elenden A n - 
g e b e r e i e n während der ersten Hälfte seiner Regierung selbst in Schranken. 
Auch traf sein Mißtrauen, das ihn zu immer größerer Härte verführte, fort- 
während nur Einzelne, und seine Reichsverwaltung zeichnete sich durch strenge 
Aufrechterhaltung der Ordnung und des Friedens, durch weise Sparsamkeit 
und durch großartige Freigebigkeit bei öffentlichen Unglücksfällen aus. Be- 
sonders steuerte er noch kräftiger als August den Bedrückungen der Pro- 
v i n z e n, und diese erkannten die Wohlthätigkeit seiner Herrschaft dankbar 
an. Mit zunehmendem Alter wuchs iudeß nicht nur das Mißtrauen und die 
Grausamkeit des Tiberius, sondern aus Ueberdruß an den Geschäften und 
Sucht nach überreizenden Genüssen entfremdete er sich den Regierungspflichten 
immer mehr. Besonders einflußreich wurde sein Verhältniß zu Sejan, 
dem er als Obersten der Leibwache allein sein ganzes Vertrauen schenkte. 
Dieser bestimmte ihn, die Prätorianer in ein festes Standlager vor 
Rom zusammenzuziehen, wodurch ihre Uebermacht für die ganze Folgezeit be- 
gründet wurde, und seinen Aufenthalt fern von Rom auf der Insel Capri zu 
wählen. Dort suchte er die Schreckgespenster seines Inneren durch Aus- 
schweisungen zu übertäuben und opferte den Verdächtigungen Sejans die 
Agrippina (I.) wie deren ältere Söhne. Als er endlich erkannte, daß Sejan 
sich selbst den Weg zur Herrschaft bahne, ward dieser auf seinen Wink vom 
Senate verurtheilt (31 n. Chr.). Tiberius aber traute nun Niemandem mehr 
und wüthete aus Tyrannenfurcht in immer entsetzlicherer Weise. Nur der 
jüngste Sohn des Germanicus, Gajns, wußte durch Schmiegsamkeit seine 
Gunst zu bewahren, und als Tiber endlich im 78. Jahre starb (nach einer 
Rückkehr des Bewußtseins vielleicht erwürgt), 37 n. Chr., waren die Präto- 
rianer für die Nychfolge des Gajus (Caligula) gewonnen, und das Volk 
drängte den Senat, dem geliebten Sohn des Germanicus das Imperium zu 
übertragen. 
Die Entstehung des Christenthums (um 30 n. Chr.) und 
die letzten Zeiten des jüdischen Reiches. 
Seit der Erhebung des Jdumäers Antipater (S. 75) wurde das 
Haus der Makkabäer allmählich zurückgedrängt. Sein Sohn H e r o d e s 
(der Große) vermählte sich mit der Makkabäerin M ariarnne und er- 
langte durch die Gunst des Antonius und Octavian die Ernennung zum 
König der Juden (39 v. Chr.). Er schützte das Land gegen die räuberischen 
Araber, führte aber immer mehr römische Berwaltungsweise ein, und verfuhr
	        
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