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energischen Leitung des zum Reichskanzler und Fürsten erhobenen
Grafen Bismarck das rasch errichtete Reich seinen innern Aus-
bau erhalten sollte. Aus Elsaß-Lothringen wurde ein Reichsland
unter einem Statthalter gemacht. Das Münzwesen wurde neu
geordnet, eine allgemeine deutsche Justizgesetzgebung durchgeführt,
vor allem die militärische Kraft des Reichs vermehrt: die Stärke
des Heeres in Friedenszeiten wurde 1887 von 401 000 auf 468 000
erhöht. Schwere innere Kämpfe blieben nicht aus und trübten die
Frühlingstage des jungen Reiches.
1) Kulturkampf. Gleich zu Anfang (1871) entbrannte ein
heftiger Kampf zwischen dem preußischen Staat und der katholischen
Kirche, den man als „Kulturkampf" bezeichnet hat. Mehrere
Jahre wurde er mit großer Heftigkeit geführt. Zuletzt waren acht
Diözesen ohne Bischöfe, 1400 Pfarreien ohne Seelsorger. Erz-
bischöfe und Bischöfe wie die ihnen untergebenen Pfarrer ließen
sich lieber zu Geld- und Gefängnisstrafen verurteilen und absetzen,
als daß sie sich den neuen Gesetzen gefügt hätten. Auch für das
ganze Reich wurden infolge dieses Kampfes Gesetze erlassen, so ein
Gesetz, durch das der Jesuitenorden vom Reich ausgeschlossen
wurde (1872), und ein anderes, durch das die obligatorische
Zivilehe eingeführt wurde (1875). Seit 1878 trat in dem
Streit eine Milderung ein. Der Tod des Papstes Pins IX.
und die Thronbesteigung Leos XIII. erleichterten die Annähe¬
rung der beiden Mächte, die nach langen Verhandlungen bis
1887 in der Hauptsache zum Frieden geführt hat. Die Be-
endigung jenes unglücklichen Kampfes mußte der Regierung des
Reichs um so erwünschter sein, da andere Sorgen in den Vorder-
grund traten.
2) Soziale Gesetzgebung. Im Jahre 1878 wurden
zwei Mordversuche gegen den greisen Kaiser Wilhelm unternommen.
Der erste mißlang; durch den zweiten wurde der Kaiser so schwer
verwundet, daß er für mehrere Monate von den Geschäften
ferngehalten war. Diese Vorfälle warfen ein Licht auf die soziale
Bewegung und die Gefahr, die dem Volksleben durch sie drohte.
Es hatte sich infolge der Erfindung zahlreicher Industrie-
Maschinen immer mehr eine Fabrikindustrie gebildet und ausge-
breitet, die Hunderte und Tausende von Lohnarbeitern beschäftigte.
In diesen Kreisen entwickelte sich nach und nach eine starke Unzu-
sriedenheit mit den Zuständen und ein scharfer Gegensatz gegen die
Kapitalisten, denen die Maschinen und Fabriken gehörten. Die
Arbeit war meist eintönig und geistlos, mußte vielfach in un-
gesunden Räumen, Bergwerken und Fabriken verrichtet werden,
war oft gesundheitsschädlich und schweren Betriebsgesahren ausgesetzt.
In diesen Betrieben waren vielfach auch Frauen und Kinder über
ihre Kraft und mit schwerer Schädigung der Gesundheit und des
Frohnmeyer, Leitfaden. 7. Aufl. iq