Full text: Neueste Geschichte seit 1815 bis zur Gegenwart (Bd. 3)

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Maurenbrecher: Deutschland nach 1850. 
Deutschland durch eine Zeitungsgründung viel Geld kosten zu lassen, was 
sich aber, ebenso wie ein ähnlicher französischer Plan, zerschlug. 
Es galt die liberale Parteianschauung als die eigentlich deutschnationale, 
England als Freund des deutschen Nationalstaats. Aber dies war nur 
eine grundlose Einbildung; denn England war ebensowenig freundlich ober 
feindlich gegenüber der deutschen Sache gesinnt wie Rußland. Die Partei¬ 
stellung der europäischen Großmächte wechselt vielmehr nach den jedesmaligen 
Interessen des Augenblicks: wie sehr irrten auf deutscher Seite diejenigen, 
welche von Englands und Rußlands bleibenden Sympathien redeten! Mit 
den Fragen der inneren Politik hat dies Verhältnis zum Auslände gar 
nichts zu tun. In jener Zeit hat mehr als irgend jemand in Deutschland, 
das zeigen seine Berichte, Bismarck den allein staatsmännischen Standpunkt 
ersaßt und behauptet; seine Ratschläge gingen nur von den preußischen und 
deutschen Interessen aus und hatten nur deren Ziel im Auge, unbekümmert 
um Rußland oder England. 
Als im Jahre 1853 die Verwicklungen im Orient zum Kriege zwischen 
Rußland und der Türkei führten, war das Verhalten Preußens und Öfter- 
reichs lange Zeit fraglich. Österreich hatte ein Interesse, Rußland an der 
Donau nicht erstarken zu lassen; Preußen hatte zwar kein Interesse am 
Schicksal der Türkei, aber die Machtausdehnung Rußlands konnte auch ihm 
nicht gefallen. Es mußte also auch einen völligen Sieg Rußlands zu ver- 
hindern suchen. England ging natürlich auf die Schwächung und Erme- 
brigung Rußlands aus, aber mit einer solchen konnte Preußen nichts zu 
tun haben. Frankreich mischte sich in die Orientfrage nur ein, um Napo¬ 
leons Ansehen in der Welt zu erhöhen. Die Stellungnahme der Westmächte 
gegen Rußland forderte für Preußen und Deutschland die Neutralität, in 
der es vielleicht vermittelst diplomatischer Unterstützung der westmächtlichen 
Politik gelingen konnte, die russische Machtausdehnung einzuschränken. Aus 
österreichischer Seite auszutreten, war höchstens dann geboten, wenn Öster¬ 
reich dort selbst energisch vorzugehen sich entschloß und weiterhin für die 
Unterstützung seiner Orientpolitik Preußen in Deutschland Einfluß einzu¬ 
räumen bereit war. Ein Anschluß Preußens an England und Frankreich 
hätte die Last des Orientkrieges sofort auf die preußischen Schultern gelegt; 
denn natürlich hätte Rußland lieber sich an der preußisch-polnischen Grenze 
geschlagen als in der Krim. 
Für die preußische Politik mußte also der Gedanke maßgebend sein, 
in die Diskussion zwischen Rußland und Europa keine andere Frage als 
die Orientfrage hereinzuziehen und einen Kompromiß zu empfehlen. Preußen 
war denn auch an dem Wiener Protokoll der Mächte (Frankreich, England, 
Österreich) vom 5. Dezember 1853 beteiligt, welches die Erhaltung der 
Türkei forderte und an Stelle des russischen ein gemeinsames Protektorat
	        
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