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Die Zeit des Deutschen Reiches.
§ 170.
sich damit begnügen, seine eigenen Bahnen zu verstaatlichen. Die übrigen
Staaten folgten nach und nach seinem Beispiel. Im Postwesen hielten
Bayern und Württemberg an ihren Besonderheiten fest. Die Reichspost
wurde in mustergültiger Weise ausgestaltet durch den ersten Reichspost-
meister Staatssekretär Stephan, den Gründer des Weltpostvereins
und Erfinder der Postkarte.
In der Anlage von Wasserstraßen stand Deutschland hinter den
Nachbarländern Frankreich, Rußland und besonders England infolge seiner
früheren Zersplitterung noch zurück. Zunächst mußte eine kurze und für
die größten Schiffe fahrbare Straße zwischen Nord- und Ostsee hergestellt
werden, teils um die Handelsschiffahrt zu erleichtern, teils um die Kriegs-
flotte verwendbarer zu machen. Wilhelm I. legte 1887 in Holtenau bei
Kiel zum Kaiser-Wilhelm-Kanal (Nordostsee-Kanal) den ^ÄrunDstein.
6. Die Tätigkeit der Frauen des Kaiserlichen Hauses, a) Kaiserin
Augusta (gest. 1890), ein fester, selbständiger Charakter, widmete sich be-
sonders den Werken der Nächstenliebe. Ihre höchste Entfaltung hatte
die Tätigkeit der hohen Frau in den Kriegsjahren erreicht. Schon 1864
und 1866 wachte sie persönlich darüber, daß die Lazarette mit allem Nötigen
versehen und die Leiden der Verwundeten und Kranken nach Möglichkeit
gelindert wurden. Sie hatte nicht geringen Anteil an dem Zustande-
kommen der Genfer Konvention, einer gleich nach dem Dänischen Kriege
getroffenen internationalen Vereinbarung, die den Zweck hat, die vermeid-
lichen Übel des Krieges zu beseitigen und die unvermeidlichen möglichst
zu mildern. 1867 gründete die Königin, um schon im Frieden eine aus-
reichende freiwillige Krankenpflege vorzubereiten, den Vaterländischen
Frauenverein, den bedeutendsten der „Vereine vom Roten Kreuz", der
nicht nur im Kriege von 1870/71 unter ihrer Leitung Großes geleistet
hat. sondern auch bei anderen Unglücksfällen (Überschwemmungen, Feuers-
brünsten, ansteckenden Krankheiten) zu schneller Hilfe bereit ist. Als Kaiserin
veranlagte Angnsta durch Preise, die sie aussetzte, die Vertreter der Heil-
künde, sich ganz besonders den im Felde an sie herantretenden Aufgaben
zuzuwenden. Unermüdlich blieb sie in Werken der Barmherzigkeit, im
großen wie im kleinen. Durch Wohltütigkeits- und Bildungsanstalten,
die ihren Namen tragen, wird das Andenken der ersten deutschen Kaiserin,
einer „Diakonissin im Purpur", erhalten.
d) Kronprinzessin Viktoria (gest. 1901) wetteiferte mit ihrer
Schwiegermutter in der Hingabe an das Wohl des Volkes. Besonders lag
ihr die Hebung der Bildung und Erwerbsfähigkeit des weiblichen
Geschlechts am Herzen. Zahlreiche Bildungs- und gemeinnützige Anstalten
verdanken ihr die Entstehung oder gedeihliche Fortentwicklung. Hervor-
zuHeben sind das Viktoria-Lyzeum in Berlin, das Viktoria-Haus zur Aus-
bildnng von Krankenpflegerinnen, der Lette-Verein (§173,2), das Feier-