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169. Sankt Christoph.
Lager auf, ergriff seinen keulenartigen Stock und watete durch das kalte
Wasser. Und oft beherbergte er sogar müde und erfrorene Wanderer
in seiner Hütte und teilte seine dürftige Nahrung mit ihnen. Diese
gewissenhafte Erfüllung seiner Pflicht und diese Wohltätigkeit gefielen
dem lieben Gott.
Einst hörte der alte Christoph in einer finsteren, stürmischen Nacht
nur leise durch den Wind den Ruf: „Hol über!“ wie die Leute, welche
übergesetzt sein wollten, gewöhnlich riefen. Sogleich machte er sich auf,
durchschritt die brausenden Wellen und wollte den Rufenden nach gewohntern
Weise übersetzen. Aber es war niemand zu sehen. Der Alte dachte:
„Ich muß mich geirrt haben“, und legte sich ohne Murren wieder auf
seine Streu. Nicht lange aber, so hörte er abermals den Ruf: „Hol
über!“ diesmal viel deutlicher. Er ergriff zum zweiten Male seinen
Stab, durchwatete die immer wilder werdenden Wellen, fand aber wie
das erste Mal das Ufer leer. „Du mußt dich demnach geirrt haben“,
sagte der gute Mann zu sich selbst und legte sich wieder geduldig nieder.
Allein nach kurzem rief es zum dritten Male und diesmal ganz deutlich:
„Hol über!“ Jeder andere hätte nun wohl gedacht: „Ich will mich
nicht mehr anführen lassen.“ Der große Christoph aber dachte nur an
seine Pflicht und ging zum dritten Male durch den Fluß. Diesmal
fand er ein wunderschönes Knäblein am Ufer, welches übergesetzt zu sein
begehrte. Er fragte nicht lange: „Wo kommst du her? Wo willst du
hin? Hast du schon mehrmals gerufen?“ sondern nahm das Kind auf
seine Schultern und stieg in den Strom. Aber so leicht das Kind an⸗
fänglich gewesen war, so schwer wurde es ihm auf einmal. Der starke,
riesenhafte Mann, welcher schon so viele Tausende getragen hatte, konnte
nicht weiter; er mußte stille stehen und sich auf seinen Stab stützen.
Das kam ihm vor wie ein Wunder und das war es auch; denn als er
sich nach dem Knäbchen umsah, da war dies glänzend und von lichten
Gewändern umflossen.
„Fürchte dich nicht, Christoph!“ sprach es, „dir ist Heil wider⸗
fahren; du hast heute den Gottessohn getragen.“ Mit diesen Worten
var das Knäblein verschwunden. Als aber Christoph an das Land
kam, fand er einen christlichen Mann, der ihm erklärte, welcher großen
Gnade er gewürdigt worden sei und was er tun müsse um ein rechter
Verehrer Christi zu werden. Da legte Christoph sein Heidentum
ab, ließ sich taufen und wurde ein heiliger Mann. Sein Geschäft
die Reisenden zu tragen setzte er aber gewissenhaft fort bis an
seinen Tod.