Frankreich. England. 93
Die wichtigsten Erscheinungen in den Ländern
außerhalb des deutsch-römischen Reiches.
1. Frankreich.
Nach dem Zerfall des Karolingischen Reiches schlug der westfränkische
Staat den entgegengesetzten Entwicklungsgang ein wie der ostfränkische.
In Deutschland rieb sich das Königtum im Kampfe gegen das Stammes-
fürstentnm und das Papsttum nach und nach auf. In Frankreich er-
stärkte das Königtum, erweiterte seine Macht über die großen Vasallen
und erlangte allmählich eine fast unumschränkte Herrschaft über das ganze
Land.
Unter den ersten Kapetingem betrachteten sich die großen Vasallen als
selbständig und dem König ebenbürtig („Pairs")^). Am mächtigsten waren die
Herzöge von der Normandie (und der Bretagne), da sie seit 1066 die englische Krone
trugen (vgl. S. 45). Unter Ludwig VII., der am zweiten Kreuzzug teilnahm, f 1180
wuchs die Gefahr, die den Kapetingem von England her drohte. Die Gemahlin
Ludwigs nämlich, Erbprinzessin Eleonore von Aquitanien, trennte sich vom
König und heiratete Heinrich Plantagenet, Inhaber der Grafschaften Anjou,
Maine und Touraine. Da dieser (±164; auch den englischen Thron und damit
die Normandie (nebst der Bretagne) erbte, besaß der nunmehrige König (Hein-
rich II.) von England die größere (westliche) Hälfte von Frankreich, war also viel
mächtiger als der französische König und doch zugleich (für die französischen Be-
sitzungen) dessen Vasall. Aus diesem unnatürlichen Zustand erwuchsen jahrhunderte-
lange Kämpfe zwischen Frankreich und Chtglaud: die englischen Könige ver-
suchten Frankreich ganz zu gewinnen; die französischen Herrscher verteidigten
die Selbständigkeit Frankreichs und trachteten umgekehrt die westfranzösischen
Gebiete in ihren Besitz zu bringen.
Schon Ludwigs Sohn und Nachfolger, Philipp II. August, Teilnehmer des f 1223
dritten Kr^uzzuges, entriß dem englischen König Johann (ohne Land) die bisher
englischen Gebiete in Westfrankreich mit Ausnahme von Aquitanien. — Die
beiden nächsten Herrscher, Ludwig VIII. (f 1226) und Ludwig IX. der Heilige f 1270
gewannen die Grafschaft Toulouse. Ludwig IX. unternahm außerdem noch den
sechsten und siebenten Kreuzzug.
X. England.
Da die englischen Könige seit 1066, noch mehr aber seit 1154 große
Besitzungen auf dem Festland (in Frankreich) hatten, wurden sie fortwährend
in festländische Kämpfe verwickelt. Für diese mußten sie immer wieder
Gut und Blut ihrer Untertanen in Anspruch nehmen, d. h. sie brauchten
Geld und Mannschaften. Als Gegengabe mußten sie ihren Untertanen
immer mehr Anteil an der Staatsverwaltung gewähren. Somit wurde
die Entwicklung der konstitutionellen Monarchie (s. Grundbegriffe S.VII)
das wichtigste Ergebnis der mittelalterlichen Geschichte Englands.
i) Aus 12 Pairs (tat. pares = die Gleichen, Ebenbürtigen), verstärkt durch die vor.
nehmsten Hofbeamten, setzte sich das sog. Parlament, der oberste Gerichtshof, zusammen.