130 Die Geschichte des Mittelalters
er eigentümliche Gerichtsbehörden an seiner Stelle geschaffen, denen es ob¬
lag, für ihn das Urteil zu sprechen und die Strafe zu bestimmen. —
Wer waren diese Gerichtsbehörden? In kleineren oder größeren Menschen¬
gemeinschaften sind Rechtshändel unvermeidlich. Sie sind häufig in Zeiten,
wo die Roheit der menschlichen Natur jede geringe Verletzung des per¬
sönlichen Stolzes durch die schärfsten Mittel zu ahnden sucht, wo die Blut¬
rache noch herrscht u. dgl. Karl setzte deswegen für die einzelnen Gaue
in jedem Jahre drei Gerichtssitzungen unter dem Vorsitze des Gaugrafen
an, die ungebotenen Tinge. Die Gerichtsbehörde bestand aus dem Gaugrafen,
als dem königlichen Beamten, dem Leiter der Verhandlung und Urteil
Sprechenden, und den Schöffen, einer Einrichtung, die Karl aus den früheren
Volksgerichten bestehen ließ. Diesen ungebotenen Tingen (vgl. unsere
Land- und Geschworenengerichte) fiel die Untersuchung schwerer Verbrechen
zu. Neben den ungebotenen Tingen wurden die gebotenen je nach Bedürf¬
nis, bei geringen Vergehen mehr privater Art, einberufen. Die Verhand¬
lung selbst fand im Freien unter einer großen Linde statt. — Wie wurde
das Urteil gefunden? Ein Angeklagter, der seine Unschuld beweisen
wollte, konnte sich durch einen Eid reinigen. Doch hatte sein Schwur nur
dann Gültigkeit, wenn eine Anzahl Eideshelfer für ihn auftraten und durch
ihr Zeugnis die Glaubwürdigkeit des Beklagten verbürgten. In zweifel¬
haften Fällen, wo unter mehreren Verdächtigen der Schuldige nicht zu
ermitteln war, mußte das Gottesurteil entscheiden (Zweikampf, Kreuzprobe,
Wasser-, Kefselprobe, Bahrrecht u. s.w.). — Welches waren die Strafen?
Daß Freiheits- und Ehrenstrafen in jener Zeit der rohen Kraft und Ge¬
walt so gut wie gar nicht zur Anwendung kamen, ist natürlich. (Gefängnis
im heutigen Umfange kannte man damals noch nicht.) Körperstrafen, zu
denen die Todesstrafe gehörte, und Geldbußen mußten das Verbrechen
sühnen (siehe die Strafbestimmungen in dem Kapitnlare von Paderborn
782 und vielen andern). Für ein gerechtes Gericht waren die Gaugrafen
streng verantwortlich, die der König selbst oder durch seine Sendgrafen,
soviel er konnte, überwachte, damit sie stets eingedenk waren, daß sie an
des Königs Stelle auf Recht und Ordnung sehen sollten.
d) Die Erwerbung der römischen Kaiserkrone ist für Karl,
obgleich sie ihm keinen Machtzuwachs brachte, ein notwendiges Mittel ge¬
wesen, den gewaltigen Staat zusammenzuhalten. Diese für das gesamte
fernere Mittelalter so bedeutungsvolle und folgenschwere Tatsache ist hier
eingehend zu würdigen. Daß zu der äußern Macht noch der Glanz der
Kaiserkrone gehörte, daß der Titel eines Königs der Franken nicht mehr
ausreichte für den Herrscher vieler Völker, nicht das allein gibt die Be¬
deutung der Kaiferkrönuug wieder. Die Veranlassung dieses Ereignisses
ist in dem Hilfegefuch des Papstes Leo III. zu finden, der von einer