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212. Des Bliimleins Wachstum. 
1. Kindlein, kommt, ich will euch zeigen, 
wie das Blümlein wächst und blüht! 
Kommt ins Freie, wo das Auge 
wunderschöne Dinge sieht. 
2. Samenkörnlein fällt zur Erde, 
und mit Staub bedeckt's der Wind; 
ruhig schläft es dann da unten, 
wie das wohlverwahrte Kind. 
3. Manchmal möcht's auch gerne 
trinken 
in der trocknen Niederung; 
dann spricht Gott zum Blnmenengel: 
„Eil' und bring'ihm einen Trunk!" 
4. Und der Engel fliegt vom Himmel, 
rühret mit den: Finger bloß 
an die Wolken, und es regnet; 
Körnlein trinkt, und bald wird's groß. 
5. Dehntund streckt sich bald nach oben, 
bald nach unten lveiter ans; 
oben will ein Stielchen werden, 
unten Würzelchen gar kraus. 
6. Also wächst es langsam weiter 
im verborgnen Kämmerlein, 
daß sich's fast hervor kann wagen 
nun an Luft und Sonnnenschein. 
7. Ungeduldig ivird es nimmer 
in der stillen Einsamkeit. 
Wie ein gutes Kind erwartet 
auch das Pflänzchen seine Zeit. 
8. Endlich kommt's herauf. Wie 
freut sich's 
auf der schönen Frühlingsau! 
Wäscht geschwind sich ab die Erde 
rein mit kühlem Morgentau. 
9. Und ihr freuet euch und rufet: 
„O, das Blümlein zart und fein!" 
Und ein jeder sich dran freuet, 
wenn es blüht im Sonnenschein. 
10. Wie die Blümlein, so die Kinder; 
wenn sie gut geworden sind, 
dann erschallt aus jedem Munde: 
„O, das wohlgeratne Kind!" Lieth. 
213. Das aufmerksame Kind. 
Lenchens Vater sagte einmal im Frühling hei Tische, als 
von den Blumen geredet wurde, er liehe vor allen Blumen das 
kleine, duftige Veilchen. Das hatte sich Lenchen gemerkt, und 
jetzt stand sie alle Morgen eine Stunde früher auf, ging hin, 
wo die Veilchen ihre blauen Äuglein öffneten, pflückte ein 
Sträufschen, tat es zu Hause in ein hübsches Glas und stellte 
es ganz heimlich dem Vater auf den Schreibtisch. Das machte 
sie alle Tage so. Der Vater merkte es bald, wer ihm die 
Blümlein schenkte. Er sagte nichts; aber er freute sich doch 
recht herzlich über sein gutes Töchterlein. Staub. 
214. Das Veilchen. 
Im Herbste steht das Veilchen verlassen und einsam draußen an 
der Hecke; kein Mensch mag es suchen. Dann kommt der kalte Winter; 
Schneeflocken fallen, und der rauhe Wind fährt über die Felder. Das 
Veilchen müßte erfrieren, wenn es die Sträucher nicht mit ihren abge¬ 
fallenen Blättern zugedeckt hätten. Es steckt warm und schläft und 
weiß nichts davon, daß die Kinder Schlitten fahren und mit Schnee¬ 
bällen werfen. 
Doch wenn der Frühling kommt, wenn der Schnee schmilzt und 
die Luft wieder wärmer wird, dann ivacht das Veilchen auf. Es streckt 
sich und reckt sich, und bald wachsen ihm neue Blättchen. Schön grün sind
	        
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