Metadata: Württembergisches Realienbuch

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eine gänzliche Umänderung und Erneuerung des staatlichen und bürgerlichen 
Lebens eintrete. Einige bedeutende Männer haben dieses wichtige Werk in 
aller Stille durchgeführt. In erster Linie war es der Freiherr vom Stein, 
„des Guten Grundstein, des Bösen Eckstein, des deutschen Volkes Edelstein." 
Friedrich Wilhelm III. berief diesen echt deutschen Mann an die Spitze der 
Regierung. Stein wollte durch umfassende Reformen ein für Freiheit, Ehre 
und Vaterland begeistertes Volk heranbilden. Die Erbuntertänigkeit der 
Bauern wurde aufgehoben, zwei Drittel der Bevölkerung erhielten die persön¬ 
liche Freiheit. Der Bauer war von jetzt an freier Herr auf seinem Eigen¬ 
tum; er durfte sich auch einem andern Stande zuwenden. Der Minister 
erließ eine Städteordnnng, nach welcher die Bürger in Zukunft ihre Bürger¬ 
meister und Ratsherren selber wählen durften. Stein wurde von Napoleon 
als „Feind Frankreichs und des Rheinbundes" geächtet; er mußte deshalb 
vom Amte zurücktreten und sein Vaterland verlassen. 
Das Heer erfuhr durch Scharnhorst und Gneisen au eine Um¬ 
gestaltung und Verbesserung. Die Armee sollte das „Volk in Waffen", 
der Soldatenstand keine Last, sondern eine Ehre sein. Scharnhorst räumte 
deshalb mit dem Söldnerwesen gründlich auf und machte den Anfang mit 
der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. Da aber Preußen nach dem 
Tilsiter Friedensvertrag nicht mehr als 42 000 Mann unter den Waffen 
halten durfte, so wurden die Rekruten nach halbjähriger Ausbildung wieder 
entlassen und andere dafür eingestellt. Auf diese Weise bekam Scharnhorst 
bald ein Heer von 150 000 Mann. 
Auch andere Männer wirkten mit an der Wiedergeburt des Volkes: 
der Philosoph Fichte durch seine „Reden an die deutsche Nation", der Theo¬ 
loge Schleiermacher durch seine Predigten, der „Turnvater" Jahn durch die 
Pflege der leiblichen Erziehung und der patriotische Ernst Moritz Arndt 
durch seine Lieder, in welchen er den Kampfesmnt gegen Napoleon schürte: 
„Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte; 
Drum gab er Säbel, Schwert und Spieß dem Mann in seine Rechte." 
Die edle Königin Luise sah bei ihrer Rückkehr nach Berlin mit innerer Freude, 
daß ein neuer Geist über ihr Volk gekommen war. Den Tag der Befreiung, den 
sie so sehr ersehnte, sollte sie allerdings nicht mehr erleben. Ihre Gesundheit hatte 
in den letzten Jahren schwer gelitten, und schon im Sommer 1810 stand der König 
mit seinen Söhnen Friedrich Wilhelm und Wilhelm an ihrem Sterbelager. Das 
ganze Volk trauerte um die geliebte Königin, die der Gram über das Unglück des 
Vaterlandes so früh hinweggerafft hatte. Ihr Wunsch, „daß sich Preußens Schutz¬ 
geist auf ihre Söhne niederlassen und daß diese den verdunkelten Ruhm ihrer Vor¬ 
fahren von Frankreich zurückerobern werden," ist erst später in Erfüllung gegangen. 
2. Preußens Erhebung. Mit dem Untergang der Großen Armee 
hatte sich das Glück Napoleons gewendet. Die geknechteten Völker erhoben
	        
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