Full text: Charakterbilder aus der Geschichte der alten und beginnenden neuen Zeit (Bd. 1)

Vorwort. 
IX 
gemeinen Gebräuchen und von der politischen Gesellschaft gesondert oder verbannt, 
das aber stets an Zahl und Kräften zunimmt, bis endlich die Kirche aus den Ka- 
takomben hervorgeht und, allgemein anerkannt, die Römer zu Christen macht und 
bis ihr Interesse mit dem des Staates verknüpft wird, von dem sie indes wesent- 
lich unabhängig bleibt. Das römische Reich ist einer alten Eiche nicht unähnlich, 
die ihre hundertjährigen Äste weithin ausbreitete. Allein ein Samenkörnchen edlerer 
Art fällt in ihren morschen Schoß. Es keimt, wächst und saugt aus der faulen¬ 
den Eiche seinen Nahrungssaft, bis es endlich, zu einem Baume herangewachsen, 
den Stamm der Eiche zersprengt, deren faulende Stücke selbst noch zum Wachstum 
des edlen Baumes beitragen. In dieser Epoche ist die Kirche nicht frei von Stür- 
men und Verfolgungen; allein das Blut der Märtyrer ist ein fruchtbarer Same 
von Christen. Sie ist bis jetzt noch als eine Sekte geduldet. Es dauert noch 
einige Zeit, bis sie sich des Menschen, der Familie, des Staates bemächtigen kann, 
bis der alte, verwitterte Römerkoloß, allenthalben erschüttert, zusammenstürzt. Da 
ändert sich die Szene, christliche Reiche blühen auf. Es beginnt die Epoche 
b) der christlichen Reiche oder Geschichte des Mittelalters. Sie ist die Folge 
und das Ganze von Ereignissen, die uns zeigen, wie durch den Einfall der Bar- 
baren, die nach und nach durch das Christentum gezähmt werden, nenere Staaten 
auf den Trümmern des römischen Reiches sich erheben und wie die Kirche, obgleich 
von Zeit zu Zeit durch ihre eigenen Kinder bekämpft, endlich herrschend geworden, 
die Völker und Reiche unter ihrem segensreichen Schatten beschützt bis zum Augen- 
blick, wo ein Teil ihrer Untertanen durch mehrere Ereignisse bearbeitet und vor- 
bereitet, welche den Blick der Menschen vom Himmel weg erdwärts ziehen, sich 
empört, sich von ihr trennt und jählings in die Wege des Irrtums sich vertieft. 
Im Aufaug dieser Epoche umwogen die Kirche noch dichte Nebel des Nordens. 
Der wogende Fluß der wandernden Völker hatte noch sein Bett nicht gefunden, in 
dem er ruhig stießen sollte. Bald ordnet und regelt sich alles. An der Spitze der 
Zivilisation stehen die Franken. Von der andern Seite tritt das orientalische Reich 
gegen die Kirche auf, dann feinden sie die Araber an, bis sich das zweite abend- 
ländische Reich unter Karl dem Großen bildet, welches man den Kulminationspunkt 
der Geschichte nennen dürste. Dann sieht sich die Kirche gezwungen, gegen ihre 
eigenen Kinder zu kämpfen und ihre heiligen Rechte gegen die christlichen Kaiser zu 
schützen. Es war die Zeit der Freiheit der Kirche, verteidigt gegen die Gewalt- 
tätigkeit der Kaiser. Darauf folgt die traurige Zeit des Verfalls, jenes beklagens- 
werte Schisma des Orients und jenes an böser Frucht so fruchtbare Koustauzer
	        
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