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Blätter für brabantische Spitzen, die Viole des Baches für den Schmuck der
geruchlosen Blume von Seide; wir führen dich statt in den prächtig erleuch¬
teten Prunksaal in den Tempel Gottes und in die Natur und lassen dich
statt glänzender Kronleuchter die leuchtende Wolke, statt lockenreicher Haarge¬
bäude die silbern bereifte Hecke bewundern. Dein höchster Lohn, wenn du uns
folgest und treu bleibst, ist das Gefühl, daß du uns gefolgt, uns treu geblieben
bist. Aber dieses Gefühl — o, daß du es recht kenntest! — wiegt alle Schätze
und Güter der Welt auf. Es macht dich ruhig in den Stürmen des Lebens
und würzt bei der bittersten Armuth deine dürftige Mahlzeit. Es schasst deiner
Seele Friede und Heiterkeit und stilles Genüge; es macht schön vor Gott und
Menschen. Mag der Herbststurm die verfalbenden Blätter deiner Jugend
herabwehen; mögen die Rosen deiner Wangen verbleichen und die Haare dei¬
nes Hauptes ergrauen: ewig- blühet des Geistes Jugend; der Zeit und dem
Grabe trotzet seine Schönheit. — Bleib' uns treu, und wir sind bei dir auf
allen Pfaden des Lebens, im Hause deiner Eltern, an deinem eigenen Herde,
im Kreise der Deinigen. Bleib'uns treu, und wir versammeln liebende Hände
um dich, die dir dein Kopfkisien zurecht legen; wenn du krank bist, dir deine
gebrochenen Augen schließen und weinend dein erkaltetes Herz, in dem Un¬
schuld, Einfalt und Demuth wohnten, in den mütterlichen Schoß der Erde
legen. Bleib' uns treu, und wir erhalten dein Andenken in dem Herzen derer,
die du liebtest, die dich liebten; wir führen sie oft zu deinem stillen Grabe, es
mit Rosen zu bestreuen und die Blicke von ihm hinauf zum Himmel zu erhe¬
ben, voll sehnenden Verlangens nach deiner Umarmung in den Auen des
Friedens."
Welchen Weg willst du gehen, theure Jungfrau? Welchen Führerinnen
folgen ?
14. Der Räuber und das Crucifix.
Auf dem öden Scheidewege, hinter'm hohen Crucifixe,
Mit dem Säbel in dem Gurte, in der Hand die gute Büchse,
Steht der Räuber, stumm und lauernd, und des Auges dunklen Strahl
Läßt er rasch, wie einen Falken, abwärts fliegen in das Thal. —
Denn den Kaufmann will er fangen, der aus weit entlegnen Ländern
Heut zurückkehrt zu den Seinen, reich an Gold und Prachtgewändern.
Und was mühsam er erworben auf der Wand'rung nah und fern —
An dem Räuber, dem gewaltigen, find't es plötzlich seinen Herrn. —
Abend wird's; die Sterne flimmern; mit dem Säbel und der Büchse,
Stumm und lauernd, steht der Räuber hinter'm hohen Crucifixe.
Horch'! da tönt's wie Engelstimmen! Leise Seufzer, laute Klagen
Kommen hell, wie Abendglocken, durch die stille Nacht getragen;
Süß, mit ungewohnten Tönen, stiehlt Gebet sich in sein Ohr,
Und er steht und lauscht verwundert hinterem Crucifix hervor.