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3. Und saß der Jüngling bei den Büchern,
ob noch so spät sein Blick auch glitt
von Blatt zu Blatt hin, eifrig forschend,
ich hörte doch den leisen Tritt,
das Lauschen an der Türe hört' ich,
ich wußte, wer da sorgt und sinnt.
Hinüber und herüber klang es:
„Gute Nacht, Mutter!" — „Gute Nacht, Kind!"
4. Dann kam die Zeit, da ich gesessen
an deinem Bett, wie lang, wie oft!
hielt deine bleiche Hand umschlungen
und hab' verzagend noch gehofft,
sah dir ins müde, liebe Auge:
O, komm doch, Schlaf, erquickend lind!
Er kam; — zum letzten Male klang es:
„Gute Stacht, Mutter!" — „Gute Nacht, Kind!"
5. Wie Glockenklang vom Meeresgrunde
ein Wort durch meine Seele zieht,
so wehmutsvoll wie Abendstimmen,
so mild als wie ein Schlummerlied.
Und kann ich keine Ruhe finden,
wenn Gram und Sorge mich umspinnt,
dann hör' ich's raunen, Frieden bringend:
„Gute Nacht, Mutter!" — „Gute Stacht, Kind!"
Jakob Löwenberg
21. Erlkönig.
1. Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
er hat den Knaben wohl in dem Arm,
er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.
2. „Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?"
„Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht,
den Erlenkönig mit Krön' und Schweif?"
„Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif."
3. „Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
Gar schöne Spiele spiel' ich mit dir;
manch bunte Blumen sind an dem Strand,
meine Mutter hat manch gülden Gewand."