denken, den Mörder des Herzogs von Enghien zu krönen, aber er
war kaum sein eigner Herr, und die geschickten Andeutungen Napo¬
leons, daß die Religion von seinem Erscheinen in Notre Dame
Nutzen ziehen werde, scheinen seine anfänglichen Bedenken besiegt zu
haben, abgesehen davon, daß er in der Hoffnung bestärkt wurde,
seine nördlichen Staaten wieder zu erhalten. Er sollte in mehr als
einer Beziehung enttäuscht werden. Der Vorteil der Religion bestand
nur in der gesteigerten Bedeutung, die ihren äußerlichen Gebräuchen
durch das Krönungszeremoniell beigelegt wurde, nicht in den prakti¬
schen Folgen, die der Papst wünschte. Für Napoleon aber war es
von der höchsten Wichtigkeit, mit dem heiligen Öl gesalbt zu werden
und den päpstlichen Segen zu empfangen; denn nur so konnte er
hoffen, die Royalisten ihrer Verehrung für ihren ungekrönten und
verbannten König zu entwöhnen. Zweifellos war dies auch einer
der hauptsächlichsten Gründe für die Wiedereinführung der Religion
durch das Konkordat gewesen, wie man deutlich sehen konnte, als
einmal Lafayette unter verschmitztem Lachen zu Napoleon sagte:
„Gestehen Sie nur, General, Ihr hauptsächlichster Wunsch gilt jener
kleinen Phiole". Dieser Ausfall entlockte dem Ersten Konsul einen
in obszöne Form gekleideten Widerspruch, der eines betrunkenen
Hausknechts würdig gewesen wäre. Und trotzdem war die kleine
Phiole jetzt schon unterwegs.
Um bei dem Zusammentreffen zwischen Papst und Kaiser jedem
unliebsamen Zeremoniell überhoben zu sein, traf Napoleon Anord¬
nungen, daß dieses auf der Landstraße zwischen Fontainebleau und
Nemours schMbar^zusällig bei Gelegenheit einer Jagd stattfinden
sollte. Der wohlwollende alte Papst saß müde von der langen, bei
der harten Kälte eines frühzeitigen Winters vollführten Reife zurück¬
gelehnt in feiner Kutsche, als er durch das Erscheinen des Gefolges
feines Gastgebers aufgeschreckt wurde. Der Gegensatz zwischen Papst
und Kaiser war bei dieser Gelegenheit in jeder Beziehung über¬
raschend. Die Gestalt des letzteren hatte jetzt die Fülle erreicht, die
ein reichliches Maß von Gesundheit und Kraft erkennen läßt; fein
Gesicht war von der Jagd und dem Bewußtsein, daß er Herr der
Situation fei, leicht gerötet, und seine Figur zeigte zu Pferde eine
Würde, die ihm, wenn er zu Fuße war, bei der Aürze seiner Beine
einigermaßen abging. Während er in vollem Jagdkostüm heranritt,
hätte er als die Verkörperung triumphierender Kraft gelten können.
Der Papst dagegen, der mit weißen Kleidern und weißen seidenen
Schuhen angetan war, machte den Eindruck friedlichen Wohlwollens;
doch trugen seine intelligenten Züge Spuren der bangen Sorge, die
ihm seine Lage bereitete. Der Kaiser sprang vom Pferde und
näherte sich seinem Gast, der seinerseits vom Wagen stieg, ziemlich
verstimmt darüber, zur Begrüßung und Umarmung Napoleons in
den Schmutz treten zu müssen. Inzwischen war Napoleons Equipage
herangefahren. Diener hielten beide Türen offen, und ein Hos-