Full text: Von der Gründung der Mark Brandenburg bis zum Wiener Kongreß (Teil 2)

denken, den Mörder des Herzogs von Enghien zu krönen, aber er 
war kaum sein eigner Herr, und die geschickten Andeutungen Napo¬ 
leons, daß die Religion von seinem Erscheinen in Notre Dame 
Nutzen ziehen werde, scheinen seine anfänglichen Bedenken besiegt zu 
haben, abgesehen davon, daß er in der Hoffnung bestärkt wurde, 
seine nördlichen Staaten wieder zu erhalten. Er sollte in mehr als 
einer Beziehung enttäuscht werden. Der Vorteil der Religion bestand 
nur in der gesteigerten Bedeutung, die ihren äußerlichen Gebräuchen 
durch das Krönungszeremoniell beigelegt wurde, nicht in den prakti¬ 
schen Folgen, die der Papst wünschte. Für Napoleon aber war es 
von der höchsten Wichtigkeit, mit dem heiligen Öl gesalbt zu werden 
und den päpstlichen Segen zu empfangen; denn nur so konnte er 
hoffen, die Royalisten ihrer Verehrung für ihren ungekrönten und 
verbannten König zu entwöhnen. Zweifellos war dies auch einer 
der hauptsächlichsten Gründe für die Wiedereinführung der Religion 
durch das Konkordat gewesen, wie man deutlich sehen konnte, als 
einmal Lafayette unter verschmitztem Lachen zu Napoleon sagte: 
„Gestehen Sie nur, General, Ihr hauptsächlichster Wunsch gilt jener 
kleinen Phiole". Dieser Ausfall entlockte dem Ersten Konsul einen 
in obszöne Form gekleideten Widerspruch, der eines betrunkenen 
Hausknechts würdig gewesen wäre. Und trotzdem war die kleine 
Phiole jetzt schon unterwegs. 
Um bei dem Zusammentreffen zwischen Papst und Kaiser jedem 
unliebsamen Zeremoniell überhoben zu sein, traf Napoleon Anord¬ 
nungen, daß dieses auf der Landstraße zwischen Fontainebleau und 
Nemours schMbar^zusällig bei Gelegenheit einer Jagd stattfinden 
sollte. Der wohlwollende alte Papst saß müde von der langen, bei 
der harten Kälte eines frühzeitigen Winters vollführten Reife zurück¬ 
gelehnt in feiner Kutsche, als er durch das Erscheinen des Gefolges 
feines Gastgebers aufgeschreckt wurde. Der Gegensatz zwischen Papst 
und Kaiser war bei dieser Gelegenheit in jeder Beziehung über¬ 
raschend. Die Gestalt des letzteren hatte jetzt die Fülle erreicht, die 
ein reichliches Maß von Gesundheit und Kraft erkennen läßt; fein 
Gesicht war von der Jagd und dem Bewußtsein, daß er Herr der 
Situation fei, leicht gerötet, und seine Figur zeigte zu Pferde eine 
Würde, die ihm, wenn er zu Fuße war, bei der Aürze seiner Beine 
einigermaßen abging. Während er in vollem Jagdkostüm heranritt, 
hätte er als die Verkörperung triumphierender Kraft gelten können. 
Der Papst dagegen, der mit weißen Kleidern und weißen seidenen 
Schuhen angetan war, machte den Eindruck friedlichen Wohlwollens; 
doch trugen seine intelligenten Züge Spuren der bangen Sorge, die 
ihm seine Lage bereitete. Der Kaiser sprang vom Pferde und 
näherte sich seinem Gast, der seinerseits vom Wagen stieg, ziemlich 
verstimmt darüber, zur Begrüßung und Umarmung Napoleons in 
den Schmutz treten zu müssen. Inzwischen war Napoleons Equipage 
herangefahren. Diener hielten beide Türen offen, und ein Hos-
	        
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