Kolonisten aus Holland, England, Frankreich (Hugenotten), und der
Schweiz brachte man neue Industriezweige ins Land, durch Be¬
schränkung der Einfuhr fremder Produkte, durch Steuernachlässe, Er¬
teilung von Prämien und Verbesserung der Verkehrsmittel (Post)
sicherte man die heimische Industrie. Selbst neue Städte gründete
man um die Wende des 18. Jahrhunderts und suchte mit allen Mitteln
ihre Einwohnerzahl und ihren Handel hoch zu bringen. So wurde
durch den neuen Staat, dessen Eingreifen die Bürgerschaft anfänglich
drückend empfand, doch der Keim gelegt, aus dem später die Städte
neu emporblühen konnten; so wurden durch die unbeschränkte Fürsten¬
herrschaft die Deutschen zu einem geordneten Eemeinleben im großen
erzogen.
10. Das bürgerliche Leben unter fremdem Einfluß.
In Verbindung mit der unbeschränkten Fürstenmacht war die
Hofgesellschaft der Hauptträger der Kultur der neuen Zeit.
Sie nahm die neufranzösische Kultur, die in dem „Sonnenkönig" Lud¬
wig XIV. ihr Musterbild hatte, in sich auf und vermittelte jene ver¬
feinerte gesellschaftliche Kultur, aus der eine neue weltliche Bildung
hervorwuchs.
An den Hofen der Fürsten, der großen wie der kleinen, ist im
17. und 18. Jahrhundert eine außerordentlich gesteigerte Lebenshaltung
auffallend. Prunksucht und Verschwendung zeigte sich im Bau der
Schlösser und Paläste, in der Anlage der Lustgärten und Tiergärten,
in der Tracht, in den Festlichkeiten und Vergnügungen, in der Musik,
im Theater, in Speisen und Getränken. Wie fürstliche Feste sich
damals gestalteten, zeigt z. B. das Hochzeitsfest Kaiser Leopolds, das
vom 5. Dezember 1666 bis Ende Februar des nächsten Jahres dauerte.
In den Hunderten von Residenzen, die es zum Unglück des Volkes
damals gab, gefiel man sich in dem Streben nach blendendem höfischem
Glanz. Hoch über dem Volk thronte eine sittenlose, leichtlebige Gesell¬
schaft, deren Belustigungen und deren Tafeln die Bürgerschaft aus
der Ferne zusehen durfte, wofür sie aber in schwerer Arbeit die Kosten
aufbringen mußte. Überall kam dadurch ein unwürdiger Drang ins
Volk, dem Hofe, dem Spendeort aller Gnaden, dem Sitze der neuen,
so hochgeschätzten Bildung, sich zu nähern. Die Hofgesellschaft, die sich
aus dem Adel des Landes bildete, suchte sich noch schärfer als früher
durch Tracht und besondere Abzeichen von dem Bürger zu scheiden.
Aber je mehr sich der Adel absonderte, je tiefer er den Bürger als
„Pöbel" herabdrückte, um so gieriger wurde das Drängen, in diese aus¬
erlesene Gesellschaft hineinzukommen. Die Selbstachtung des Bürgers
war bei dem Rückgang der Städte gesunken und bürgerliche Hofleute,
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