Full text: Vaterländische Geschichte

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sich mehr an den Körper an und sind reich mit Borten besetzt. Immer 
enger und enger wird der Rock der Herren, so daß man schließlich mit dem 
Kopfe voraus nimmer durchkommen konnte. Man schnitt ihn an der 
Brust auf und machte Knöpfe daran — das war der Übergang zu unserer 
heutigen Tracht. 
Die Zeit, in der die Männer Zöpfe trugen und sogar ihren Schnurr¬ 
bart flochten, war vorüber. Aber schon begann eine neue Tollheit. Der 
Bart, des Mannes Schmuck, kam aus der Mode. Das Haar wurde lang 
getragen uud fiel in Locken auf die Schultern herab. Bei den Herren 
zeigte sich überhaupt das Bestreben, den Damen m der Tracht ähnlich zu 
werden. Zudem kamen die Schnabelschuhe auf uud die Schellentracht 
und bei den Damen die Schleppe. Das Rittertum giug rückwärts, wie 
in allem, so auch im Geschmack an der Kleidung. 
Viele Ritter legten sich auf den Straßenraub. Sie plünderten die 
Wagen der reisenden Kaufleute und schleppten diese in die Gefangenschaft. 
Die Raubritter wurden eine Plage für das deutsche Laud. Wenn ein 
kräftiger Kaiser zur Regierung kam, so war sein erstes, ihrem Treiben Ein¬ 
halt zu tun. Die Raubburgen wurden erobert, verbrannt und die Besitzer, 
wie es ihnen gebührte, aufgehängt. 
Bei den großen Ritterfesten erschienen häufig auch fahrende Sänger. 
Sie sangen Lieder, eigene oder von anderen gedichtete, bald ernsten, bald 
heiteren Inhalts uud waren stets gern gesehene Gäste. Früher wurde, 
wie ich schon erwähnte, die Gelehrsamkeit ausschließlich in den Klöstern 
von den Geistlichen gepflegt. Im Laufe der Zeit und namentlich im 
13. Jahrhundert nahm sich der Ritterstand um sie au und pflegte ins¬ 
besondere die Dichtkunst. Bayern nimmt in dieser Beziehung unter allen 
deutscheu Ländern den Ehrenplatz ein. Die beiden größten Dichter dieser 
Zeit gehören unserem Volke au. Wolfram von E s ch e n b a ch , 
ein fränkischer Ritter, dessen Heimat das Städtchen Eschenbach zwischen 
Ansbach und Guuzenhauseu ist, schuf das tiefsinnige Heldengedicht Parsival. 
In Eschenbach liegt Wolfram auch begrabeu. Walther Don der 
Vogelweide, ein Tiroler, sang seine Lieder, von Fürstenhof zu 
Fürstenhof ziehend. Er liegt iu Würzburg begrabeu. 
Um zu zeigen, wie unsere deutsche Sprache damals gesprochen uud 
geschrieben wurde, will ich hierher eiu Gedicht Walthers vou der Vogel¬ 
weide setzen. Die Übersetzung ist ebenfalls beigefügt. 
Selbstüberwindung. 
Wer sieht1) den lewen? wer sieht den risen? 
AVer überwindet jenen und diesen ? 
Daz2) tuot3) jener, der sich selber twinget4) 
x) schlägt 2) das 3) tut 4) zwinget.
	        
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