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Die Pharisäer oder Peruschim (Abgesonderte), auch wohl Chassidim ge¬
nannt, sonderten sich durch ihre Frömmigkeit und die strenge Beobachtung der
Gesetze über rein und unrein von allen Ändern ab. Sie hielten ebenso fest an
der Thora wie an den mündlichen Ueberlieferungen, dem „mündlichen Gesetze“,
dem sie dieselbe Heiligkeit wie dem „schriftlichen Gesetze“ zuerkannten. Sie
hafteten weniger am Buchstaben, sondern deuteten und erklärten das Gesetz im
Geiste der Ueberlieferung; Widersprüche im Gesetze suchten sie zu lösen, die Strenge
in der Eechtslehre zu mildern und waren bestrebt, das Judenthum durch stete Ent¬
wickelung zu erhalten. Da der Partei der Pharisäer die meisten Gesetzeslehrer^
sowie die Mitglieder des Synhedrions angehörten, so gewannen sie einen über¬
wiegenden Einfluss auf die Angelegenheiten des öffentlichen Gottesdienstes und
eine bedeutende Herrschaft über die Herzen der Masse des jüdischen Volkes, um
so mehr, als ihre streng-religiöse und hohe sittliche Lebensart, verbunden mit
Milde und Wohlwollen gegen Jedermann, Achtung einflösste, und sie das was
sie ändern zu thun auferlegten, mit grösstem Eifer selbst übten. Einzelne unter
ihnen, die ihre selbstsüchtigen Interessen verfolgten und bei äusserer Frömmig¬
keit heimlich ein lasterhaftes Leben führten, sind von den Pharisäern selbst
häufig und scharf getadelt und charakterisirt worden. Solcher heuchlerischer
Pharisäer gab es nach dem Talmud 7 Arten: Schleicher, Kopfhänger, Augen¬
verdreher u. a. m. Mit diesen entehrenden Benennungen darf keineswegs die
ganze Partei belegt werden, wie das in späterer Zeit so oft geschah; die Phari¬
säer waren ihrem Principe nach die edelsten Vertreter und Erhalter des Judenthums.
Den Pharisäern gegenüber standen die Sadducäer oder Zedukim, welche
ihren Namen von Zadok, einem Schüler des Antigonos aus Socho, oder dem
hohenpriesterlichen Geschlechte Zadok ableiteten. Sie hielten sich blos an das
Wort der Schrift und verwarfen jede Ueberlieferung und Erläuterung des Ge¬
setzes, sodass sie sich von den Pharisäern in der Beobachtung der Ceremonien
merklich unterschieden. Sie leugneten den Glauben an eine Auferstehung nach
dem Tode, die Vergeltung in einem Jenseits» den Glauben an Engel. Da sie
lehrten, man müsse das Gute nur seinerselbstwillen thun und das Böse seiner
Schlechtigkeit wegen meiden, so handhabten sie das Eecht mit grösster Strenge
und fällten leicht Todesurtheile. Dieser Partei, obwohl nur gering an Zahl,
waren die Eeichen und Staatsmänner zugethan; in ihrem Wesen stolz und hocli-
müthig, konnten sie das Volk nie für sich gewinnen und ebensowenig wie später
die ihnen geistverwandten Karäer sich lange behaupten.
Die Essäer oder Essener*) bildeten eine Art Ordensgesellschaft und
führten ein stilles beschauliches Leben. Sie hassten den Luxus, liebten die Ar-
*) Die Etymologie dieses Wortes ist zweifelhaft. Einige meinen, es stamme von
dem aramäischen asia, Arzt, ab, weil sie sich, wie Josephus erzählt, mit der Arzneikunde
beschäftigten; daher sie auch wohl Therapeuten (Heilende) genannt wurden. Andere be¬
haupten mit mehr Eecht, der Name Essäer stamme von TDPI, fromm, her, und wieder
Andere leiten ihn von dem hebräischen Worte VUS» d. i. der Bescheidene, ab. Endlich
behaupten Einige, der Stifter hätte Essäus geheissen. Ihrer Ordensregel gemäss nahmen
sie täglich ein Bad, daher sie auch Toble Schacharit, Morgentäufer, oder Banaim, Badende,
genannt wurden.