- 24 —
gesunden Dingen suchte. Die Strassen waren mit Leichen angefüllt, die in der
heissen Jahreszeit bald in Fäulniss übergingen und Seuchen erzeugten. Mehr
als 500 Menschen fand man jeden Morgen vom Hunger hingerafft in den Strassen
liegen, und zu einem einzigen Thore wurden innerhalb 6 Wochen 115,088 Todte
hinausgetragen, diejenigen nicht mitgerechnet, welche von ihren Angehörigen be¬
graben waren. Aus Verzweiflung wagten viele ausserhalb der Mauern auf dem
Felde Lebensmittel zu suchen, die meisten von ihnen aber fielen den Römern in
die Hände. Titus liess sie angesichts der auf der Mauer befindlichen Juden kreu¬
zigen. In einer Nacht erlitten 5000 den Tod, sodass es zuletzt an Holz und
Kaum zu den Kreuzen gebrach. Andere, die in das Lager der Eömer geflohen
waren, fielen zu gierig über die ihnen gereichte Speise her und starben. Viele
solcher Ueberläufer wurden von den römischen Soldaten lebendig aufgeschnitten,
denn es war unter ihnen der Glaube verbreitet, dass manche Juden Gold verschluckt
gehabt, weil sie es sonst nicht aus der Stadt zu bringen sich getraut hätten.
Die römischen Soldaten glaubten nun bei allen Juden Gold zu finden und schnitten
deshalb in einer Nacht über 2000 solcher Ueberläufer auf, bis Titus verbot, sie
zu tödten, und so wurden sie sehr wohlfeil als Sklaven verkauft und ändern
Leiden preisgegeben. Alle Schrecknisse des Todes, Hunger, Pest und Schwert
vermochten aber den Muth der Juden nicht zu brechen. Durch den Heldenmuth
der Belagerten wurde die Erstürmung der äussern Tempelmauern vereitelt, daher
liess Titus die Tempelthore anzünden, der Brand wüthete einen ganzen Tag
und die folgende Nacht. Als Tags darauf (9. Ab) die Eömer Anstalten trafen
den Brand zu löschen, machten die Juden wieder einen verzweifelten Ausfall,
wurden jedoch zurückgeschlagen und bis in den Tempelhof verfolgt. Da warf
ein römischer Soldat einen Feuerbrand in den Tempel, der bald in hellen Flammen
stand. Titus, der seiner Geliebten Berenice, der Schwester Agrippa’s, das Ver¬
sprechen gegeben hatte, den Tempel zu erhalten, ertheilte eiligst Befehl, den
Brand zu löschen; es war jedoch zu spät: die Eömer waren vom Zerstören und
Morden nicht mehr abzuhalten. Sie metzelten schonungslos bis tief in die Nacht,
sodass an manchen Stellen das Feuer durch das strömende Blut gelöscht wurde.
So sank der Tempel, Israel’s Schmuck, in einen Aschenhaufen zusammen, am
10. Ab, an demselben Tage, an dem auch der erste Tempel durch Nebukadnezar
zerstört worden war. Zahllose Juden stürzten sich aus Verzweiflung in die
Flammen, sie wollten die Einäscherung ihres Heiligthums nicht überleben.
Erst einen Monat später (8. Elul=August) wurde die Oberstadt erobert;
Johann von Giskala und Simon bar Giora, welche sie mit Löwenmuth ver-
theidigten, wurden zu Gefangenen gemacht. Weit über eine Million Juden waren
während des Krieges umgekommen, über 900000 zu Gefangenen gemacht. Diese
Unglücklichen liess Fronto, ein Freund Titus’, zum Theil hinrichten, die schönsten
Jünglinge bestimmte er zum Triumphzuge, die übrigen, welche über 17 Jahre
alt waren, wurden nach Aegypten in die Bergwerke geschickt oder als Sklaven
verschenkt. Während Fronto ihr trauriges Schicksal bestimmte, starben an 10000
von ihnen vor Hunger, theils weil die Wächter aus Erbitterung und Hass ihnen
keine erlaubten Speisen gaben, theils weil viele sich weigerten, solche von den
Feinden anzunehnem.