Full text: Handbuch der Israelitischen Geschichte von der Zeit des Bibel-Abschlusses bis zur Gegenwart

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(322). Him folgte sein treuester Freund, der weniger durch Scharfsinn als durch 
Belesenheit glänzende R. Joseph bar Chija, auch der Blinde genannt, der, 
weil er sich der chaldäischen Uebersetzung häufig bediente, irriger Weise für 
den Verfasser der chaldäischen Paraphrase zu den Hagiographen gehalten wird. 
Fünf Jahrhunderte später war abermals ein Joseph bar Chija Vorsteher der 
Akademie zu Pumbedita, der aber nur zwei Jahre sein Amt bekleidete. Die 
Lieblingsschüler Babbah’s und Joseph’s, Abaji und Baba, standen Hochschulen 
vor, ersterer während 5 Jahren der in Pumbedita, letzterer bis 352 der in Machuza; 
unter ihnen erreichte die haarspaltende, talmudische Dialektik ihren Höhepunkt. 
Während die Akademie in Pumbedita in Verfall gerieth, gelangte die aus 
dem von B. Papa in Nares gegründeten Lehrhause hervorgegangene Schule zu 
Sura zu neuem Glanze und zwar durch B. Aschi, der in früher Jugend Schul- 
haupt wurde und seit B. Juda Hanasi der erste war, der wieder äussern Glanz mit 
hoher Gelehrsamkeit vereinigte. Er wurde eine massgebende Autorität, sodass 
selbst die Exilsfürsten, welche ihren Sitz in Sura nahmen, sich seinen Anord¬ 
nungen fügten, und genoss ein solches Ansehen, dass man ihm den Ehrentitel 
Babbana (unser Lehrer) gab. B. Aschi unternahm die riesige Arbeit, das ge- 
sammte Material von Ueberlieferungen und Erläuterungen, welches sich zu der 
Mischna in den babylonischen Schulen angehäuft hatte, zu sammeln, zu sichten 
und zu ordnen, eine Arbeit, welche ihm sowol seine Autorität und die un¬ 
gewöhnlich lange Dauer seiner Wirksamkeit — er führte sein Amt 53—60 Jahre 
(bis 427) — als auch der Friede ermöglichten, dessen sich die babylonischen 
Gemeinden damals zu erfreuen hatten. Zu diesem Zwecke nahm er, so oft sämmt- 
liche Schüler sich halbjährlich versammelten, einen Abschnitt der Mischna mit den 
dazu gehörigen Erläuterungen durch, und nachdem er das Ganze in 30 Jahren 
beendet hatte, veranstaltete er eine zweite Bevision mit manchen Aenderungen 
und Zusätzen. B. Aschi hat übrigens das Werk weder ganz vollendet, noch 
auch niedergeschrieben. Erst die Verfolgungen unter den persischen Herrschern 
Jezdigerd und Firuz, welch letzterer die jüdischen Lehrhäuser schliessen und 
die Synagogen zerstören liess, drängten Babina und B. Jose, die Schulhäupter 
zu Sura und Pumbedita, zum endgültigen Abschluss und zur schriftlichen Ab¬ 
fassung des Werkes, das, Gemara genannt, erst den Saboräern oder Saboraim 
(Meinende), wie die Schuloberhäupter, die den Amoraim folgten, genannt werden, 
seine heutige Gestalt verdankt. 
Diese Gemara, oder, mit der Mischna zusammen, Talmud, heisst Talmud 
Babli (babylonischer), zum Unterschiede von dem um 370 gesammelten Talmud 
Jeruschalmi (jerusalemischer), der weit kürzer ist und, weil er die Anerkennung 
nicht fand, auch weniger studirt und bearbeitet wurde. 
§ 10. Der Talmud. 
Der Talmud gehört zu den merkwürdigsten literarischen Monumenten des 
menschlichen Geistes; es spiegelt sich in ihm Alles ab, was der jüdische Geist 
in einem etwa 700jährigen Zeiträume unter den verschiedensten Zeitströmungen 
und Ereignissen gedacht und empfunden hat; er ist gleichsam das Protokoll
	        
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