278 126. Das kranke Lind. — 127. Aus der Lindheit.
126. Das kranke Kind.
Von Joseph Freiherrn von Eichendorff.
1. Die Gegend lag so Helle,
die Sonne schien so warm,
5 es sonnt sich auf der Schwelle
ein Kindlein krank und arm.
2. Geputzt zum Sonntag heute
ziehn sie das Tal entlang;
das Kind grüßt alle Leute,
10 doch niemand sagt ihm Dank.
3. Viel Kinder jauchzen ferne,
so schön ist's auf der Welt!
Ging' auch spazieren gerne,
doch miide stürzt's im Feld.
4. „Ach Vater, liebe Mutter, 15
helft mir in meiner Not!"
Du armes Kind! die ruhen
ja unterm Grase tot.
5. Und so im Gras alleine
das kranke Kindlein blieb, 20
frug keiner, was es weine,
hat jeder seins nur lieb.
6. Die Abendglocken klangen
schon durch die stille Welt,
die Engel Gottes sangen 25
und gingen übers Feld.
7. Und als die Nacht gekommen
und alles das Kind verließ,
sie habcn's mitgenommen;
30 NUN spielt's im Paradies.
127. Ans der Kindheit.
Von Friedrich Hebbel.
1. Ja, das Kätzchen hat gestohlen,
und das Kätzchen wird ertränkt,
35 Nachbars Peter soll es holen,
daß er es im Teich versenkt!
2. Nachbars Peter hat's vernommen,
ungerufen kommt er schon:
„Fest die Diebin zu bekommen,
40 gebe ich ihr gern den Lohn!"
3. „Mutter, nein, er will sie quälen.
Gestern warf er schon nach ihr,
bleibt nichts andres mehr zu wählen,
so ertränk ich selbst das Tier."
4. Sieh, das Kätzchen kommt ge- 45
sprangen,
wie es glänzt im Morgenstrahl!
Lustig hüpft's dem kleinen Jungen
aus den Arm zu seiner Qual.
5. „Mutter, laß das Kätzchen leben, 50
jedesmal, wenn's dich bestiehlt,
sollst du mir kein Frühstück geben,
sieh nur, wie es artig spielt!"
6. „Nein, der Vater hat's geboten,
hundertmal ist ihr verziehn!" 55
„Hat sie doch vier weiße Pfoten!"
„Einerlei, ihr Tag erschien!"