156
Ungarn.
nach Süden, tlieils von Westen nach Osten ziehen. Als der Haupt¬
zug des ganzen Systems kann der hohe Tatra angesehen werden.
Er streicht von Westen nach Osten etwa 10 Meilen und hat an 50
Quadratmeilen Umfang. Der Gebirgsstock selbst erhebt sich aus
einer 2000 Fuss hohen Hochebene und erreicht als Granitmasse eine
Kammhöhe von 6000 Fuss. Umflossen ist er ^on vier Flüssen,
welche auf der Hochebene entspringen. Man sollte meinen: alle
Quellen, die seinem Nordabhange entströmen, müssten der Weichsel
zueilen und alle die, welche den Südabhang herunterkommen, der
Donau. Dem ist jedoch nicht so. Auf der Südseite des Tatra hat
die Waag ihren Ursprung; sie nimmt die Arva auf, welche dem
Nordabhange entquillt; dahingegen entspringt der Dunajec an der
Nordseite und in ihn fliesst der von Süden kommende Poprad. —
Der Granit des Tatra ist umgeschichtet, umgeklüftet; er bildet kom¬
pakte Massen von so grosser Härte, dass sich keine vorliegenden
Schutttrümmer finden. Es fehlen dem Tatra, der eine Ilochgebirgs-
natur hat, die schönen Thäler der Alpen, statt deren wir nur enge
Felsspalten und trichterförmige Felskessel finden. In diesen liegen
oft in bedeutender Höhe schöne, tiefe Seen. Das Gestein steht so
zu Tage, dass die Höhen nackt sind. Da der Tatra wie eine
Mauer kegelförmig aufsteigt und nur im Innern zerklüftet ist, so ist
er fast unübersteiglich. Bis zu 1000 Fuss wächst noch Wein, dann
beginnt die Region der Tannenwälder, reicht bis 5000 Fuss und
geht allmählich in die Region des Krummholzes über. Die Region
der Alpenkräuter, die darauf folgt, lässt sich in Bezug auf Reich¬
thum und Fülle nicht mit der der Alpen vergleichen, weshalb hier
auch eigentliche AlpenwirthSchaft fehlt. Im Osten liegen die Haupt¬
höhen des Tatra: die Lomnitzer, Eisthalerspitze und der hohe Cri-
van, welche zwischen 7 und 8000 Fuss hoch sind. Der Tatra ist
das erste Vorgebirge gegen das flache Osteuropa. Deshalb treffen
ihn die atmosphärischen Erscheinungen mit der grössten Gewalt; er
ist die erste Klippe, an der sich die Meteore brechen und wird des¬
wegen von furchtbaren Gewittern und Wolkenbrüchen heimgesucht.
Südlich vom Tatra ziehen parallele Ketten, welche durch Fluss-
thäler, z. B. durch das der Gran von einander getrennt werden. Sie
enthalten grossen Metallreichthum, z. B. bei Schemnitz und Krem¬
nitz, weswegen auch die ungarischen Goldgulden berühmt geworden
sind. Diese Schätze sind im Mittelalter von deutschen Bergleuten
gehoben worden, wie denn überhaupt vom 12ten bis 17ten Jahr¬
hundert die Karpathen zahlreiche deutsche Einwohner hatten. Be-