Full text: Grundlagen der deutschen Litteraturkunde (Abt. B)

Wolfram von Eschenbach. 
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Noch lag der Knab' ans seinen Knien, 
Als noch ein Ritter, schön geziert. 
Mit Eil' heran kam galoppiert. 
Es trug ein stattlich Streitroß ihn; 
130 Er schien zum Kampfe ausgeritten, 
Denn wenig war vom Schilde ganz - 
Graf Ultra-Lak Karnahkarnanz. 
„Wer sperrt den Weg?" mit rauhen 
Sitten 
Schnaubt also er den Knaben an. 
135 Doch diesem wie ein Gott gethan 
Erschien auch er, da vorher nimmer 
Sein Aug' erblickte solchen Schimmer. 
Der Wappenrock in schönen Wellen 
Fiel bis zur Erde; an den Zügeln, 
140 An Schild und auch an beiden Bügeln 
Erklangen kleine goldne Schellen, 
So daß, wenn von des Gegners Degen 
Im wilden Kampf der Schild erdröhnte, 
Ihr Klingen hold dazwischentönte. 
145 Doch sanftern Tones fragt'entgegen, 
Bezwungen von der Schönheit Glanz 
Des Knaben, drauf Karnahkarnanz: 
„Nun sagt mir, Jungherr, sonder 
Weile: 
Saht ihr zwei Ritter hier mit Eile 
150 Vorüberfliehen? Eine Schande 
Sind sie dem ganzen Ritterstande, 
An Männertugend gar verzagt. 
Gewaltsam führten eine Magd 
Sie mit sich, die sie frech geraubt." 
155 Der Knabe nach wie vor doch glaubt, 
Bedenkend seiner Mutter Lehre 
Von Licht und Finster, es verkehre 
Ein Gott mit ihm; drum sprach das 
Kind 
Sein voriges Gebet geschwind: 
160 „Ach hilf mir, hilfereicher Gott, 
Der Hilfe gibt in aller Not!" 
Der Fürst darauf: „Ich bin nicht Gott; 
Doch leiste gern ich sein Gebot. 
Wärst du der Wahrheit auf der Spur, 
165 Du sähst in uns vier Ritter nur." 
Da fragt der Knabe ihn fürbaß: 
„Du nennst da Ritter; was ist das? 
Sag' an, hast du nicht Gotteskraft, 
Wer kann denn geben Ritterschaft?" 
„Die teilt der König Artus aus; 170 
Ja, kommt Ihr einst zu dessen Haus, 
So mögt Ihr Rittersnamen nehmen, 
Des Ihr Euch nimmer habt zu schämen. 
Denn seh' ich Euer Wesen an 
Und euern Leib so wohlgethan, 175 
Acht' ich Euch wohl von Ritters Art." 
Der Knabe fragte weiter dreist, 
Weshalb er laut belachet ward: 
„Ei, Ritter, Gott — sei, wer du seist - 
Du hast so viele Ringe 180 
Um deinen Leib gebunden, 
Um Arm und Bein gewunden, 
Wozu sind diese Dinge?" 
Und drauf betastend mit der Hand 
Die Panzerringe Band für Band, 185 
Rief er im staunenden Beschauen: 
„Ich sah doch meiner Mutter Frauen 
Ringel auch an Schnüren tragen; 
Die nicht so ineinander ragen." 
Karnahkarnanz: „Nicht will ich hehlen, 100 
Was dir gar sehr noch scheint zu fehlen." 
Er zeigt' ihm drum und zog sein 
Schwert: 
„Nun sieh! Wer von mir Streit begehrt, 
Den wehr' ich ab mit solchen Schlägen; 
Jedoch zum Schutz vor seinem Degen, 195 
Gegen Schuß und Hieb und Stich 
Muß ich also bewaffnen mich." 
Da rief der gute Knabe laut: 
„Weh, trügen die Hirsche solche Haut, 
Sie verwundete nicht mein Gabilot, 200 
Das manchem doch schon gab den Tod." 
Die Herren ließen Gott befohlen 
Das Kind und zogen des Weges fort, 
Um die Verräter einzuholen. 
Der Knabe staunend sah die Reiter 205 
Enteilen, folgte mit den Augen 
Ihnen nach, und nun nicht weiter
	        
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