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gebildeten Prinzessin, die ihrem Gemahl mit hingebender Treue an¬
hing, doch von dem launischen und flatterhaften Manne viele
Demütigungen zu erleiden hatte. Sie lebte daher gern, vom Hofe
entfernt, in dem kleinen Schlosse zu Freienwalde a. D., während der
König im Marmorpalais bei Potsdam seine rauschenden Feste gab.
Indessen lag auch Friedrich Wilhelm das Glück seiner Unterthanen
am Herzen: alles atmete auf, als er sofort uach dem Regierungs¬
antritt Regie und Monopole aufhob und eine Steuererleichterung
eintreten ließ; er setzte zur Leitung aller Unterrichtsangelegenheiten
ein Oberschulkollegium ein. Die einseitige verstandesmäßige Auffaffuug
religiöser Dinge während der Zeit der Aufklärung hatte sich überlebt;
die einen suchten im Glauben an die von der Kirche gelehrten christ¬
lichen Wahrheiten ihr Heil, audere ergaben sich dem phantastischen
Reiz geheimer Gesellschaften, die sich des Besitzes übernatürlicher
Wissenschaft, des Verkehrs mit der Geisterwelt n. dergl. rühmten.
(Cagliostro.) Durch ein vom Minister von Wöllner ausgearbeitetes
Religionsedikt verfügte der König, von der Wahrheit der kirchlichen
Lehre überzeugt, daß kein Geistlicher oder Lehrer auf Kanzel oder
Katheder Abweichungen von der Lehre uud den Bekenntnisschriften
der evangelischen Kirche sich erlauben dürfe, eine Maßregel, die, mit
der seit Luthers Tagen gütigen Lehrfreiheit dieser Kirche unverträglich,
großen Unwillen hervorrief. Ein Zensuredikt beschränkte das Recht
der Meinungsäußerung in den Zeitungen. Die Verschwendung und
der Luxus des Hofes gaben ein arges Beispiel für Adel und
Volk; die alten, ehrbaren Sitten schwanden, in Genußsucht und Leicht¬
sinn erschlafften die Nachkommen einer Generation, die einst mit halb
Europa deu ehrenvollen Kampf siegreich bestanden.
(Gebietserweiterungen.) (l. Die fränkische Linie des Hauses
Hohenzollern, die in Ansbach und Baireuth herrschte, war dem Aus-
sterben nahe. Der letzte Markgraf von Ausbach - Baireuth, Karl
Alexander, verzichtete zu guusten der Krone Preußen aus seine Be¬
sitzungen. Der baireuthische Hausordeu vom Roten Adler wurde als
zweiter preußischer Hausorden anerkannt (1792).)
2. Die Zweite Teilung Polens 1793. Ju Poleu gedachte
eiue patriotisch gesinnte Partei, von der Untüchtigkeit der Verfassung
und der Unhaltbarkeit der gegenwärtigen Zustände überzeugt, alte
Ubelstüude abzustellen und an Stelle des Wahlkönigtums die erbliche
Thronfolge im Hause Wettin einzuführen. Preußen übernahm den
Schutz dieser Verfassungsänderung, doch als die Kaiserin Katharina
Truppen nach Polen sandte und den König Stanislaus Poniatowski