Martin Luther.
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Ehrfurcht vor dem heiligen Buche. Kaum konnte er sich davon trennen,
und so oft es seine Zeit erlaubte, kehrte er zurück und las in seiner
Bibel. Wie gern hätte er fein ganzes Leben der Erforschung dieses
Schatzes gewidmet; aber sein Vater wünschte, daß er ein Rechtsgelehrter
werden solle, und er gehorchte. Da geschah es, daß er einst mit seinem
Freunde Alexius spazieren ging. Ein schweres Gewitter zog herauf,
ein Blitzstrahl zuckte herab, und Alexius lag erschlagen am Boden. Das
machte auf Luther einen solchen Eindruck, daß er auf seiue Kniee sank
und gelobte, ein Mönch zu werden. Er hielt sein Gelübde und trat in
das Augustinerkloster zu Erfurt. Da hatte er anfangs einen schweren
Stand. Gleich andern Neneingetretenen mußte er mit einem Sack auf
dem Rücken umhergehen und für das Kloster betteln. Sein frommer
Sinn ließ ihn auch dies überstehen. Nachdem er die Priesterweihe
empfangen und sich durch Betteln und Fasten und eifriges Lernen schon
ganz siech gemacht hatte, erhielt er endlich vom Kurfürsten Friedrich dem
Weifen von Sachsen einen Ruf uach Wittenberg, um an der dortigen
Universität zu lehren. Hier erwarb er sich die Würde eines Doktors
der heiligen Schrift und machte durch feine Lehren und Predigten, bei
denen er immer von der Bibel ausging, ein solches Auffehen, daß die
Jünglinge von nah und fern herbeieilten, um den außerordentlichen
Mann zu hören. — Auf einer Reise, die er in einer Angelegenheit
seines Ordens nach Rom machte, hatte er Gelegenheit, die Gebrechen
der Kirche an ihren Dienern kennen zu lernen. Wie erstaunte er über
die unglaubliche Unwissenheit der Priester und Mönche! Selten fand
er einen, der die heilige Schrift auch nur dem Namen nach kannte.
Und was für ein sittenloses Leben führten sie! Und wie sah es in den
Kirchen ans. Da war keine Spur vou einer Anbetung Gottes im Geiste
und in der Wahrheit. Die öffentlichen lateinischen Gebete verstand kaum
der Priester; man begnügte sich daher, den Rosenkranz herzuplappern
und überließ das übrige den Heiligen und dem Ablaß.
Tiefes Leid im Herzen über den grenzenlosen Verfall der Kirche
und über die himmelschreiende Unwissenheit und Verwahrlosung des
armen Volkes, hatte Luther einst einige Leute in der Beichte zur Buße
ermahnt. Wie erstaunte er aber, als sie ihm erklärten, sie brauchten
nicht Buße zu thun, denn sie hätten ja Ablaßbriefe von Tetzel! Nun
vermochte er nicht länger zurückzuhalten. Er fetzte sich hin und schrieb
95 kurze Sätze aus, in denen er bewies, daß der Ablaßhandel ganz
gegen die heilige Schrift und gegen alle Vernunft und fogar eine Gottes¬
lästerung fei; daß niemand das Recht, noch die Macht habe, Sünden