Full text: Biographische Geschichtsbilder aus alter und neuer Zeit für den vorbereitenden geschichtlichen Unterricht (Quinta) (2)

Martin Luther. 
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Ehrfurcht vor dem heiligen Buche. Kaum konnte er sich davon trennen, 
und so oft es seine Zeit erlaubte, kehrte er zurück und las in seiner 
Bibel. Wie gern hätte er fein ganzes Leben der Erforschung dieses 
Schatzes gewidmet; aber sein Vater wünschte, daß er ein Rechtsgelehrter 
werden solle, und er gehorchte. Da geschah es, daß er einst mit seinem 
Freunde Alexius spazieren ging. Ein schweres Gewitter zog herauf, 
ein Blitzstrahl zuckte herab, und Alexius lag erschlagen am Boden. Das 
machte auf Luther einen solchen Eindruck, daß er auf seiue Kniee sank 
und gelobte, ein Mönch zu werden. Er hielt sein Gelübde und trat in 
das Augustinerkloster zu Erfurt. Da hatte er anfangs einen schweren 
Stand. Gleich andern Neneingetretenen mußte er mit einem Sack auf 
dem Rücken umhergehen und für das Kloster betteln. Sein frommer 
Sinn ließ ihn auch dies überstehen. Nachdem er die Priesterweihe 
empfangen und sich durch Betteln und Fasten und eifriges Lernen schon 
ganz siech gemacht hatte, erhielt er endlich vom Kurfürsten Friedrich dem 
Weifen von Sachsen einen Ruf uach Wittenberg, um an der dortigen 
Universität zu lehren. Hier erwarb er sich die Würde eines Doktors 
der heiligen Schrift und machte durch feine Lehren und Predigten, bei 
denen er immer von der Bibel ausging, ein solches Auffehen, daß die 
Jünglinge von nah und fern herbeieilten, um den außerordentlichen 
Mann zu hören. — Auf einer Reise, die er in einer Angelegenheit 
seines Ordens nach Rom machte, hatte er Gelegenheit, die Gebrechen 
der Kirche an ihren Dienern kennen zu lernen. Wie erstaunte er über 
die unglaubliche Unwissenheit der Priester und Mönche! Selten fand 
er einen, der die heilige Schrift auch nur dem Namen nach kannte. 
Und was für ein sittenloses Leben führten sie! Und wie sah es in den 
Kirchen ans. Da war keine Spur vou einer Anbetung Gottes im Geiste 
und in der Wahrheit. Die öffentlichen lateinischen Gebete verstand kaum 
der Priester; man begnügte sich daher, den Rosenkranz herzuplappern 
und überließ das übrige den Heiligen und dem Ablaß. 
Tiefes Leid im Herzen über den grenzenlosen Verfall der Kirche 
und über die himmelschreiende Unwissenheit und Verwahrlosung des 
armen Volkes, hatte Luther einst einige Leute in der Beichte zur Buße 
ermahnt. Wie erstaunte er aber, als sie ihm erklärten, sie brauchten 
nicht Buße zu thun, denn sie hätten ja Ablaßbriefe von Tetzel! Nun 
vermochte er nicht länger zurückzuhalten. Er fetzte sich hin und schrieb 
95 kurze Sätze aus, in denen er bewies, daß der Ablaßhandel ganz 
gegen die heilige Schrift und gegen alle Vernunft und fogar eine Gottes¬ 
lästerung fei; daß niemand das Recht, noch die Macht habe, Sünden
	        
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