Full text: [Teil 5 = [Kl. 5], [Schülerband]] (Teil 5 = [Kl. 5], [Schülerband])

sein." Da erwiderte Tell: „Wohlan, Herr, weil Ihr mich meines Lebens 
versichert habt, so will ich Euch gründlich die Wahrheit sagen. Wenn ich 
mein Kind getroffen, dann hätte ich Euch selbst mit dem andern Pfeil 
erschossen und Euer nicht gefehlt." Wie das der Vogt vernahm, sprach 
er: „Deines Lebens hab' ich dich gesichert und will dies halten. Weil 
ich aber deinen bösen Willen erkannt, so lass' ich dich binden und an 
einen Ort bringen, wo weder Sonne noch Mond scheint, auf daß ich vor 
dir sicher sei." Und er ließ ihn mit Ketten binden und führte ihn mit 
sich über den Vierwaldstätter See; denn er wollte ihn nach Küßnacht 
bringen auf sein Schloß und dort in den Turm werfen. 
Als sie aber auf dem See fuhren, erhob sich der wilde Wind, welcher 
der Föhn heißt, und die Wellen schlugen so hoch auf, daß dem Landvogt 
ein Grausen ankam und ihm bange ward um sein Leben. In solcher 
Todesnot ließ er dem Tell, der gebunden dalag, die Fesseln lösen, auf 
daß der im Rudern erfahrene Mann ihn errette. Nun führte Tell das 
Fahrzeug mit Macht gegen Wind und Wellen. Wie sie aber an den 
Axenberg kamen und der Tell eine Felsplatte sah, drückte er das Schiff 
hart daran, ergriff rasch seinen Bogen und sprang dann auf die Felsplatte, 
die noch heute die Platte des Tell heißt. Dem Schiff aber gab er mit 
kräftigem Fuß einen Stoß, daß es wieder in den See fuhr. 
Ehe Geßler ans Ufer kam, war Tell schon über alle Berge und legte 
sich in den Engpaß bei Küßnacht, wo Geßler des Weges kommen sollte. 
Da kam der Vogt geritten, Böses sinnend. Tell spannte seine Armbrust, 
und der Pfeil flog in das Herz des strengen Herrn, also daß er tot 
niederfiel. Hiernach entfloh Tell über das Gebirge nach Uri. Das Volk 
aber freute sich überall, wo die Tat ruchbar ward, daß es des schlimmen 
Gewaltherrn entledigt war. 
X 19. Der ^rauerifanä. Von den Brüdern Grimm. 
Deutsche Sagen. 4. Auflage, besorgt von Reinhold Steig. Berlin 1906. S. 177. 
^Hestlich im Südersee wachsen mitten aus dem Meer Gräser und Halme 
hervor an der Stelle, wo die Kirchtürme und stolzen Häuser der 
vormaligen Stadt Stavoren in tiefer Flut begraben liegen. Der Reichtum 
hatte ihre Bewohner ruchlos gemacht, und als das Maß ihrer Übeltaten 
erfüllt war,»gingen sie bald zugrunde. Fischer und Schiffer am Strand 
des Südersees haben die Sage von Mund zu Mund fortbewahrt. 
Die vermögendste aller Insassen der Stadt Stavoren war eine Jung¬ 
frau, deren Namen man nicht mehr nennt. Stolz auf ihr Geld und Gut, 
hart gegen die Menschen, strebte sie bloß, ihre Schätze immer noch zu 
vermehren. Flüche und gotteslästerliche Reden hörte man viel aus ihrem 
Munde. Auch die übrigen Bürger dieser unmäßig reichen Stadt, zu deren 
Zeit man Amsterdam noch nicht kannte und Rotterdam ein kleines Dorf 
war, hatten den Weg der Tugend verlassen.
	        
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