Full text: Vaterländische Geschichte der neuesten Zeit

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Bismarck entschied sich endlich, den Kampf, der sich überall 
geradezu aufdrängte, auch kräftig aufzunehmen. Zunächst hob 
er die „Katholische Abteilung“ im Kultusministerium auf, 
die, entgegen ihrer ursprünglichen Bestimmung, ein kirchliches 
Werkzeug gegenüber dem Staat geworden war. Aehnlich wagte 
auch in Bayern der Kultusminister v. Lutz den Krieg und 
erwirkte einen Zusatz zum Reichsstrafgesetz, um den Mißbrauch 
der Kanzel zu politischen Hetzereien zu verhindern. (Kanzel¬ 
paragraph.) Das Gesetz wurde angenommen; die Absicht 
aber wurde doch nicht erreicht, denn abgesehen davon, daß es 
peinlich war, den Inhalt der Predigten zu überwachen, verlegten 
die jüngeren katholischen Geistlichen die Bewegung in zahllose 
Vereine und in ebensoviele kleinere und größere Zeitungen. — 
1871 hatte Preußen 4 bis 5 katholische Zeitungen, 1874 deren 120. 
Blätter, wie die „Germania“ und die „Kölnische Volkszeitung“, die 
sonst nur mäßig verbreitet waren, wurden jetzt groß und ton¬ 
angebend. Durch das Eintreten der Presse wurden Worte und 
Maßregeln immer schärfer. Auch neue Kreise wurden hinein¬ 
gezogen. So beschlossen Bundesrat und Reichstag 1872 die 
Ausweisung der Jesuiten, als einer geschlossenen Gesellschaft, 
deren Mitglieder eidlich verpflichtet seien, ihren im Auslande 
wohnenden Vorgesetzten unbedingt zu gehorchen. Die Antwort 
war, daß man diese Verfolgung schlimmer nannte, als die eines 
Nero und Diokletian, die bekanntlich die Christen verbrennen 
oder den wilden Tieren vorwerfen ließen. Schorlemer-Alst nannte 
Bismarck eine catilinarische Existenz und Catilina hatte doch alles 
Gute und Bestehende Umstürzen wollen! Ein Böttchergeselle 
Kulimann machte endlich 1874 einen Mordversuch auf Bismarck; 
angeblich „der Kirchengesetze wegen“. 
Im Jahre 1873 brachte Falk im Abgeordnetenhause, also 
für Preußen, die vielgenannten Maigesetze ein. Sie beschränkten 
die Strafmittel der Kirche, stellten die Vorbildung und An¬ 
stellung der Geistlichen unter staatliche Aufsicht (Anzeige¬ 
pflicht), regelten den Austritt aus der Kirche und richteten 
endlich einen kirchlichen Gerichtshof ein. 
Dieser hatte bald viel zu tun; aber den letzten Zweck 
erreichte Bismarck wieder nicht. Im Jahre 1874 wuchs die Zahl 
der Zentrumsabgeordneten von 63 auf 91. Dabei ließen auch 
die Konservativen Bismarck mehr und mehr im Stich und die
	        
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