2. Erzählungen.
W i e ein Germane römischer Soldat wird.
Dreißig Jahre waren seit jenem Überfall vergangen. Die
Ubier wohnten nicht mehr in ihrer alten Heimat. Mehr als je hatten
sie unter den räuberischen Angriffen der 5uer>en zu leiden gehabt
und so folgten sie gerne der Einladung des römischen Feldherrn
Agrippa, der ihnen drüben am Rhein zwischen Gelduba und Tol-
biacum (Zülpich) neue Wohnsitze anwies und sie nannten sich zum
Gedächtnis ihres Wohltäters Agrippinenser. —
An der römischen Heerstraße, die ins welschland führte, lag
eine ubische Hofstatt. Line breitästige Linde beschattete das Wohn¬
haus. Unter dem Baum stand eines Tages der Hofherr mit den
Seinen. Die Jüngeren winkten mit weißen Tüchern, der Hofherr
blickte ernst, fast traurig, die Ahne aber mit ihren schneeweißen Haaren
wischte sich die Tränen aus den Augen. Einem Reitertrupp sahen
sie nach, der auf dem Hartweg nach dem Bheine zu sich ent¬
fernte. 3t°, ihr Altester, war unter den Heitern. Man konnte
sie noch immer sehen, denn sie ritten eben den Marsberg
hinan. Noch zuletzt hatten die Seinen versucht )so zu halten;
der Vater hätte ihm die Hofstatt übergeben, aber es hatte nichts
geholfen. Am Ende wären dem Jüngling selber die Tränen ge¬
kommen, doch der römische Centurio hatte ihm zugerufen: „Beim
Mars! Tränen ziemen den Weibern, ein römischer Soldat weint
nicht!" Da hatte er sich von den Seinen losgerissen, hatte sein
Pferd bestiegen, hatte allen nochmal mit der Hand zugewinkt und
während die Ahne zum letztenmal das Donarszeichen über ihn
machte, hatten ihn schon die römischen Reiter in ihre Mitte ge¬
nommen.
Nun waren sie oben am Berge angekommen, man konnte
sie nicht mehr sehen. Trüben Mutes kehrte der Hofherr mit den
Seinen zum Wohnhaus zurück. Hugbald war es, grau war er ge¬
worden, eine tiefe Falte zog sich über die hohe Stirne. Die Greisin,
die er am Arme führte, war Sieglinde, seine Mutter, „weine nicht,"
sprach er zu ihr, „das hat ja so kommen müssen. Mir isss, als wär's
gestern gewesen und sind doch schon viele Jahre, als er noch nicht