Der Staat vom Mittelalter bis zur Gegenwart 
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Bürger sollte nach Möglichkeit Anteil an ber Regierung erhalten; babnrch 
sollte bas Verantwortungsgefühl bes einzelnen gestärkt werben. Die abso¬ 
lute Herrschaft bes Königs würbe eingeschränkt, unb bie Minister sowie bie 
Regiermtgspräsibenten in ben Provinzen würben selbstänbiger. Die Stäbte, 
bie bis bahin von einem königlichen Stabtbirektor geleitet worben waren, er¬ 
hielten Selbstverwaltung, b. H. sie konnten sich ihre Bürgermeister, ben Rat 
unb bie Stabtverorbneten selbst wählen. Auch bie Bauern, bereit Lage nach 
ber Aufnahme bes römischen Rechtes brückenb geworben war, inbem sie zu 
Leibeigenen ihrer Grunbherren geworben unb an bie Scholle gebuuben waren 
(S. 78f.), würben selbstänbig (bie „Bauernbefreiung"). Es ist gerabezu 
bewuubernswert, baß biefe tiefeinschneibenben Veränbernngen währenb ber 
Unruhe ber Napoleonischen Kriege burchgesührt werben konnten. Dem Kö¬ 
nige war bamit ein großer Teil seiner Macht genommen, wenn er auch immer 
noch ein absoluter Fürst blieb. Das Volk hatte aber noch keinen Anteil an 
ber Staatsregierung, unb so brachen von 1830 bis 1850 in verschobenen 
bentschen Bnnbesstaaten Revolutionen aus, zumal bie beutschen Fürsten 
1815 ihren Untertanen eine „Konstitution“ ober Verfassung, b. H. Anteil an 
ber Staatsregierung, versprochen, aber teilweise nicht gewährt hatten. Der 
erste beutsche Staat, in bent bie Verfassung eingeführt würbe, war Sachsen- 
Weimar (1817, unter Goethes Einfluß); einer ber letzten war Preußen 
(1850). So entstaub allmählich in ben beutschen Bunbesstaaten mit 
Ausnahme ber beiben Mecklenburg unb ber brei Hanfestäbte bie kon¬ 
stitutionelle Monarchie. Das Volk ist vertreten in bem Parlament, meistens 
mit zwei Kammern (in Preußen z. B. Herrenhaus unb Abgeorbnetenhaus). 
Die Erste Kammer setzt sich zusammen aus ben Mitgliebern bes Herrscher¬ 
hauses, ben Großgrunbbesitzern, ben hohen Geistlichen, ben Bürgermeistern 
ber größten Stäbte unb aus einigen vom Herrscher persönlich ernannten Ab- 
georbneten; sie bitbet ein geeignetes Gegengewicht gegen bie Zweite Kammer, 
bie vom Volke gewählt wirb. Diese Einrichtungen gelten in ber Hauptsache 
auch für bas neue Deutsche Reich: neben bem Kaiser steht ber Bunbesrat, 
b. H. bie Vertretung ber verbünbeten Regierungen, ber Reichstag, ber 
burch bas allgemeine, gleiche, birekte unb geheime Wahlrecht gewählt wirb, 
unb ber Reichskanzler; bieser ist ber einzige eigentliche Reichsminister. 
Der Geist ber gesamten Reichsverfassung, ber auch für bie Heeresverwaltung 
maßgebenb ist, bebingt, baß jeber einzelne tatsächlich münbig unb zugleich 
für bie Regierung mitverantwortlich ist; er entspricht ben freiheitlichen For- 
berungen bes 18. unb 19. Iahrhunberts ebenso wie ben Gebanken bes 
Reichsfreiherrn von Stein, ja überhaupt bem Fühlen unb Denken bes ger¬ 
manischen freien Mannes. 
Deutschkunde 7
	        
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