Full text: Ein Besuch im Benediktiner-Kloster (H. 3)

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war der gegenseitige Gruß. Es waren erprobte Männer, ein heiliger 
und Gott wohlgefälliger Senat. 
Der mit dem schmächtigen Körper und dem scharfen, von Fasten 
und Nachtwachen geblaßten Antlitz war Notker, der Stammler. 
Ein wehmütig Zucken spielte um seine Lippen; lange Übung der 
Askesis hatte seinen Geist der Gegenwart entrückt. Früher hatte 
er gar schöne Singweisen erdacht; jetzt war er verdüstert und ging 
in der Stille der Nacht den Dämonen nach, mit ihnen zu kämpfen. 
In der Krypta des heiligen Gallus hatte er jüngst den Teufel er¬ 
reicht und so darniedergeschlagen, daß dieser mit lautem Auweh- 
schrei in einen Winkel sich barg; und seine Neider sagten, auch sein 
schwermütiges Lied media vita sei unheimlichen Ursprungs und 
vom bösen Feind geoffenbart als Lösegeld, da er ihn in seiner 
Zelle siegreich zusammengetreten unter starkem Fuße festhielt. 
Aber neben ihm lächelte ein gutmütiges, ehrenfestes Gesicht aus 
eisgrauem Bart her für; der starke Tutilo war's. Der saß am 
liebsten vor der Schnitzbank und schnitzte wunderfeine Bildwerke 
in Elfenbein. Aber wenn ihm der Rücken sich krümmen wollte 
von der Arbeit Last, zog er singend hinab auf die Wolfsjagd oder 
suchte einen ehrlichen Faustkampf zur Erholung; er focht lieber mit 
bösen Menschen als mit nächtlichem Spuk. 
Auch Ratpert kam herzu, der lang erprobte Lehrer der Schule, 
der immer unwillig auffuhr, wenn ihn das Kapitelglöcklein von 
seinen Geschichtsbüchern abrief. Weil er unter den letzten in 
den Saal trat, kam er neben den bösen Sindolt zu stehen, seinen 
Widersacher, und dieser neben Radolt, den Denkmann, der über 
jeglich Ding der Welt disputierte. Aus dem Dunkel im Saales¬ 
grund ragte Sintram hervor, der unermüdliche Schönschreiber, dessen 
Schriftzüge die ganze cisalpinische Welt bewunderte. 
Die größten Brüder an Maß des Körpers waren die Schotten, 
die am Eingänge ihren Stand nahmen, Fortegian und Failan, 
Dubslan und Brendan, und wie sie alle hießen, eine untrennbare 
Landsmannschaft, aber mißvergnügt über Zurücksetzung. Auch der 
rotbärtige Dabduin stand dabei, der trotz der schweren, eisernen 
Bußkette nicht zum Propst gewählt ward und zur Strafe für seine 
beißenden Schmähverse auf die deutschen Mitbrüder drei Jahre 
lang den dürren Pfirsichbaum im Klostergarten begießen mußte.
	        
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