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Fünfte Periode, 31 v. Chr.—476 n. Chr.
frühzeitig in die Hauptstadt, um ihm dort eine liberalere Bildung
geben zu lassen. So machte also der Knabe und Jüngling seine
ersten Studien in Rom. Er setzte sie dann in Athen fort, wurde
aber von hier aus in den philippensischen Krieg hineingezogen,
dem er auf die Aufforderung des M. Brutus als Kriegstribun
beiwohnte. Nach der Schlacht bei Philippi kehrte er nach Rom
zurück und lebte nun ganz den Studien und der Dichtkunst.
Obgleich er aber demnach keinen weiteren thätigen Antheil an
den öffentlichen Angelegenheiten nahm, so hatte er doch Auge
und Sinn für dieselben; auch hatte er vielfachen Verkehr mit
angesehenen Männern der Zeit, zumal nachdem ihn Mäcenas im
J. 39 oder 38 unter die Zahl seiner Freunde aufgenommen hatte.
Er dichtete nunmehr zuerst, in den J. 40 bis 31, die Epoden
und die zwei Bücher Satiren, dann folgten, in den J. 30 bis 20,
die ersten drei Bücher Oden; mit diesen wollte er nach seiner
eignen Erklärung seine schriftstellerische Thätigkeit abschlössen,
indessen fügte er doch in seinen späteren Lebensjahren, wo er
sich meist auf seinem Sabinum, einem Geschenk des Mäcenas,
aufhielt, noch ein viertes Buch Oden, das für die von Augustus
im J. 17 veranstaltete Secularfeier gedichtete Seculargedicht (ccir-
men seculare) und zwei Bücher Episteln hinzu. Den Inhalt sei¬
ner Satiren bilden hauptsächlich lebendige Schilderungen der
Thorheiten und Fehler der Welt, die er aber gleich seinem Vor¬
gänger Lucilius (o. S. 374) nicht sowohl hasst und schmäht, als
verlacht; die Episteln, die, wenn auch alles poetischen Schwungs
entbehrend, vielleicht als das reichste und eigenthümlichste Pro¬
duct seiner Muse anzusehen sind, stellen in freiester Form unter
Anknüpfung an persönliche Beziehungen vorzugsweise seine An¬
sichten über verschiedene Lebensverhältnisse dar, insbesondere
über die literarischen Richtungen und Bestrebungen seiner Zeit;
beide aber, die Satiren wie die Episteln, wollte er nicht als
eigentliche poetische Erzeugnisse angesehen wissen, als solche
galten ihm nur die Oden, in denen er, wie er sich selbst rühmt,
als der erste die Lyrik der Sappho und des Alcäus auf römischen
Boden verpflanzte, und die zum Theil nichts Anderes sind als
freie Uebersetzungen der griechischen Muster, während ein ande¬
rer und zwar der grössere und bei Weitem ansprechendere Theil
dem Inhalt nach durchaus römisch ist; die Epoden, die ihren