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Die Servianische Gesetzgebung.
letzteren, die schändliche Tnllia, in der „Frevelgasse" über den
Leichnam ihres eigenen ermordeten Vaters hinfuhr.
III. Die Gründung der Republik (509 v. Chr.).
1. Die Servianische Gesetzgebung.
Mit der Regierung des Servius Tnllins beginnt die Däm¬
merung, welche über den Anfängen Roms liegt, sich schon be¬
deutend zu erhellen und klarer scheidet sich die geschichtliche Wahr¬
heit von dem Sagenhaften. Die erste große politische That, die
in der römischen Geschichte klar hervortritt, ist die Gesetzgebung
des Servius Tullius, die, wie bereits oben (S. 163) angedeutet,
eine Umbildung des Gemeinwesens hervorbrachte, welche für
die spätere Entwickelung desselben von den allerwichtigsten Fol¬
gen gewesen ist. Die Zahl der in Rom lebenden Plebejer war
nämlich durch die fortwährenden Eroberungen der Römer eine
so große geworden, daß sie die der Patrizier bei weitem über¬
stieg und wenn auch nicht an Grundbesitz, so doch an Geld und
beweglichem Gut, einen ansehnlichen Reichtum besaß, dennoch aber
von allen politischen Rechten ausgeschlossen war. Andrerseits
wuchs mit der Ausdehnung des kleinen Staates das Bedürfnis
an Kriegern; aber gerade durch die vielfachen Fehden, die das
alte Rom mit latinischen Städten führte, waren die Patrizier,
welchen bisher der Kriegsdienst allein oblag, an Zahl sehr ver¬
mindert worden. Daher beabsichtigte Servius Tullius, die an¬
sehnliche Volkskraft, die in den Plebejern lag, für den römischen
Staat mehr nutzbar zu machen. Indem er sie also zum Kriegs¬
dienst heranzog, legte er ihnen zwar Staats lasten auf, aber dafür
erteilte er ihnen auch politische Rechte. Die Verfassung des
Servius trug allerdings noch sehr den streng aristokratischen
Charakter, doch konnte jeder Plebejer, je nachdem er größeren
Grundbesitz erwarb, in eine höhere Klaffe aufrücken und so an
Pflichten wie an Rechten gewinnen.
Die servianische Gesetzgebung ist später vielfach verändert
worden, namentlich verlangte das Bedürfnis des wachsenden
Staates immer größere Kriegermassen: aber die wichtige Be¬
stimmung, daß der Grundbesitz das Maß der Leistungen für den
Staat Wie der Rechte an demselben bedinge, hat sich in den
besten Zeiten des römischen Gemeinwesens erhalten und für
die einfach bäuerlichen Verhältnisse desselben sich als sehr heilsam
bewährt.