II. Die christliche Zeit.
A. Von der Geburt Christi bis zur Entdeckung Amerikas.
Jesus Christus.
1. Die Fülle der Zeit.
Lebhafter als seit langer Zeit ward im jüdischen Volke aus
die Ankunft des verheißenen Messias gehofft; aber verschieden¬
artig waren die Vorstellungen, die sich in der Seele des Volkes
über ihn gebildet hatten. Die einen erwarteten in ihm einen
Verkünder uud Briuger des Friedens, einen Erlöser
von der Sünde, die andern sahen ihn im Geiste einherschreiten
als mächtigsten Erdenfürsten, dessen Schwert ungleich sieg¬
reicher noch sein werde, als das Schwert Davids es gewesen,
und dessen Königsthron den Thron Salomo ns an Pracht weit
überragen werde. Daß die letztere Ansicht im jüdischen Volke
besonders herrschend war, bezeugen mich römische Schrift¬
steller älterer Zeit, besonders Snetonins und Tacitus.
Beide schöpften aus dem jüdischen Geschichtschreiber Flavins
Josephus, welcher in seiner Geschichte des jüdischen Krieges
mittheilt, daß „den meisten Juden die Ueberzeugung inne wohnte,
es sei in alten Priesterschristen enthalten, es werde zu eben der
Zeit das Morgenland Kräfte gewinnen und aus Judäa Kom¬
mende werden die Herren der Welt werden."
Aber auch in der heidnischen Welt ward auf einen Helser
und Retter aus den Nöten des Lebens gehofft. Wer die dama¬
ligen Zustände des weltbeherrscheudeu Roms in Betracht zieht,
kann sich darüber nicht wundern. Unerhörte Anstrengungen waren
von den Römern gemacht worden, ihren Staat zum Weltreiche
zu erheben und zugleich das Gut der politischen Freiheit zu er¬
hoff mann, Weltgeschichte 2c. II. 1