Full text: Mit 27 Abbildungen (Teil 3 = (6. - 8. Schuljahr), [Schülerband])

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er seinen Sohn draußen in der Stube umhergehen; aber es war nie— 
mand da. Auf dem Fenstersims, wo Rosmarin und Nelken blühten, 
davon sich der Ausgewanderte noch einen Strauß auf den Hut gesteckt 
hatte, lag das Gesangbuch des Alten, wie von jeher in ein weißes, baum— 
wollenes Tuch gewickelt. Auf diesem Tuche spielte der Mond, der von 
den Bergen niederschien, jetzt gar so seltsam. Der Alte legte seine Hand 
darauf, wie wenn es da etwas zu fassen gäbe. Endlich kehrte er wieder 
in sein Bett zurück. 
3. Am Morgen, als es zur Kirche läutete, ging der Alte mit seinem 
Gesangbuch unter dem Arme dahin. Erst in der Kirche wickelte er es 
aus dem Tuche, sah nach der Nummer des Liedes und blätterte sie, immer 
die Finger neßend, mühsam auf. Aber plötzlich schrie er laut auf, daß 
alle in der Kirche zusammenschraken, und sein Schrei übertönte die Ein— 
leitung der Orgel: „Heinrich, was hast du getan!“ Da lag der Hundert— 
talerschein des Ausgewanderten — und das war sein ganzes Vermögen, 
da lag es, hier auf dem Blatte. 
Das hat der Heinrich hineingelegt, und darum hat er noch gestern 
gesagt: ‚Vater, wenn Ihr morgen das Lied singt, denkt auch gut an micht.“ 
Den ersten Vers konnte der Alte nicht mitsingen; aber beim zweiten 
sang er mit, als ob er die Stimme seiner jungen Tage wieder be— 
kommen hätte. 
Beim Ausgang aus der Kirche sprach alles davon, wie gut und 
getreu der Ausgewanderte an seinem Vater gehandelt habe. Der Alte 
sprach kein Wort. Er klemmte nur das Gesangbuch so fest unter den 
Arm, daß ihm die Brust weh tat; aber dessen achtete er kaum. 
. „Ich hab' das Geld noch, ich hab's nicht angerührt, und es liegt 
noch auf der Stelle, wo er's hingelegt hat“, so sagte der Alte, und 
ich mußte ihn ins Dorf und in sein Häuschen begleiten. Dort lag auf 
dem Fenstersims das Gesangbuch, in ein weißes, baumwollenes Tuch ein— 
gewickelt. Der Alte tat das Buch heraus, und richtig, bei dem Gesange 
Nr. 143 lag der Hunderttalerschein. 
„Warum habt Ihr das Geld nicht auf Zinsen angelegt?“ fragte ich. 
Der Alte lachte, und endlich ließ er sich zu der Antwort herbei: 
„Das haben mir doch noch alle Leute gsgt Da ist einer so ge— 
scheit wie der andre. Sie alle wissen nur eins: Verdienen. Aber ich 
will nicht.“ 
„Ihr habt die besten Zinsen von dem Gelde. Ihr nährt Euch von 
dem guten Gedanken, daß Euer Sohn so brav ist“, erwiderte ich. 
„Schau, schau!“ rief der Alte jetzt, „du bist der erste Mensch, der 
das versteht. Du hast auch gewiß schon viel Gutes genossen von 
Menschen, weil du das so verstehst. Du bist nicht dumm, ich hab' dir's 
gleich angesehen.“ 
Der Alte war ganz glücklich, daß es noch einen so gescheiten
	        
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