Stellungskrieg in Frankreich.
Der Versuch, die Franzosen mit Hilfe fast der ganzen Armee entscheidend zu schlagen
und zum raschen Frieden zu zwingen, war nicht geglückt, und doch — war viel erreicht.
Das nördliche Frankreich war bis zur Aisne in festem deutschem Besitz; dasselbe galt fast
von dem ganzen Belgien. So war der Kriegsschauplatz nicht in Deutschland. Und das
besetzte Gebiet, fast lauter Industrieland, hatte für Deutschland einen hohen wirtschaftlichen
Wert. Für den Gegner freilich war dieser Kräfteverlust um so schmerzlicher. Denn Frankreich
verlor damit den größten Teil seiner Eisen- und Stahlindustrie, seiner Kohlenzechen und Erzgruben.
Auch seine Webeindustrie (Lille) und sein Maschinenbau (Valenciennes) kamen nun in die Hände
seiner Gegner und mußten oft unmittelbar für die Feinde arbeiten.
Sehr schnell organisierten die Deutschen alle Tätigkeit, so auch die der Bahnen, obgleich
diese natürlich in erster Linie dem Heere dienten. Aber es wurde doch möglich, selbst D-Züge
mit Speisewagen einzurichten, die regelmäßig etwa von Lille nach Berlin oder von Antwerpen
nach Lodz gingen. Auch war die Gefechtslinie so gesichert, daß die Züge bis Laon und weiter,
also fast unmittelbar in die Reihen der Kämpfenden fahren konnten. — Der geregelte Acker- und
Gartenbau wurde wenig Kilometer hinter diesen wieder aufgenommen; oft, wenn die Eigentümer
geflüchtet waren, wurde die Arbeit von deutschen Soldaten besorgt, welche die Äcker und Gemüse¬
gärten bestellten und sogar Meiereien einrichteten. —
Und doch wurde fast ununterbrochen gekämpft, meist allerdings in Artilleriekämpfen. Zu¬
nächst wurden durch die Geschütze die Laufgräben zertrümmert („sturmreif gemacht“). War
diese Arbeit getan, so konnte der Sturm in raschem Anlauf versucht werden. Der Gewinn blieb
aber bescheiden und wurde fast nach Metern berechnet. Da die Franzosen, wie sie versicherten,
immer vorwärts kamen, mußten sie allerdings schließlich auch auf diesem Wege an die Grenze
kommen; aber der Landgewinn war so gering, daß sie auf diese Art nach eigener Berechnung
etwa in 131/:! Jahren an die Landesgrenze kommen würden, und selbst diese Hoffnung war noch
zu rosig, da ebenso oft die Deutschen die Kampflinien ihrerseits vorwärts schoben. (Badonviller).
Ein solcher Krieg konnte demnach keine Entscheidungen bringen.
Vorzugsweise wurde auf den beiden Flügeln und in der Mitte gekämpft. Auf den Flügeln
wirkten die schon erwähnten politischen und allgemeinen Erwägungen mit. In der Mitte waren
es mehr strategische Rücksichten.
In Flandern, also auf dem nordwestlichen Flügel, reizte die Franzosen noch ein be¬
sonderes Interesse. Es war ärgerlich, daß gerade hier die sehr bedeutende Festung Lille, die
1870/71 für Frankreichs Verteidigung so unendlich wertvoll gewesen, kampf- und gedankenlos in
die Hände der Deutschen geraten war. Armentikres, Bethune, Ypern behaupteten die Feinde,
aber die größte, nächste und wichtigste Stadt, Lille, kam und blieb in deutschem Besitz. Und
dies Los teilten auch Turcoing und Roubaix, zwei gleichfalls hervorragende, nah benachbarte
Industrieplätze. Nördlich und westlich von diesen Orten waren die erbittertsten Kämpfe.
Für den Widerstand der Engländer mochten hier noch besondere Gründe sprechen. Die
Besorgnis, daß die Deutschen von Calais nach England hinübersetzen möchten, schwand mehr
und mehr, aber für alle Fälle mochte es zweckmäßig sein, ein Land besetzt zu halten, wo man
schon früher so gern gewesen. Ein vorläufiges Festhalten hat sich schon oft bewährt (Malta,
Ägypten), und Frankreich läßt sich so viel gefallen, daß man immerhin auch hier etwas ver¬
suchen konnte. — Schon jetzt kamen auch englische Familien hierhin und richteten sich so ein,
als ob sie bleiben wollten. Auch die Zahl der Krieger und der sogenannten Krieger wuchs zu¬
sehends, und in Berücksichtigung der Zahl, welche die der Deutschen bedeutend übertraf, waren
große Erfolge zu erwarten, zumal das Land mit seinen unendlich vielen Kanälen und Gräben und
der Nähe des Meeres, das ein Eingreifen der Schiffe gestattete, den Gegnern viele Vorteile bot.
Aber zu eigentlichen Eroberungen kamen die Engländer trotzdem nicht. Ihre Erfolge waren
mehr wie bescheiden. — Der englische Soldat ist gewiß tapfer, tüchtig und zähe und leistet
zumal in der Verteidigung viel. Aber die alten/ eigentlichen Soldaten waren in den ersten Mo¬
naten verbraucht und bei der Zusammensetzung des neuen „Millionenheeres Kitcheners“ sah man
vor allem auf die Zahl. Nicht genug, daß man ohne Rücksicht auf die Farbe schwarze, gelbe
und andere Krieger allerorten an warb, ermäßigte man auch nach dem Vorbilde des tapferen
Falstaff die Ansprüche an die körperliche Brauchbarkeit. Auch schlug man zwei Fliegen mit
einer Klappe, indem man die Verbrecher aus den Zuchthäusern anwarb und so ihre Zahl min¬
derte und die der Soldaten mehrte. Ja. man bildete sogar ein Regiment von Wahlweibern, von
deren Furchtbarkeit sich allerdings die Minister früher persönlich überzeugt hatten. *
Das Hauptergebnis dieser Kämpfe war demnach, daß die Küste einen viel mehr englischen
Charakter bekam, daß aber die Besitzverhältnisse sich kaum änderten; auch nicht, als die Eng¬
länder am 14. März in einer Schlacht bei Neuve Chapelle 15000 M. opferten.
Auf dem ändern Flügel in den Südvogesen kam den Franzosen die Nähe der starken
Festung Beifort zustatten. Von hier aus hatten sie eine Bahn bis Bussang und weiter durch die
Hochvogesen gute Wege, so daß der Kampf die Thur und auch die Fecht abwärts (Münstertal)
nicht schwierig und im Falle eines unglücklichen Ausganges ein Hineingedrängtwerden in die
Schweiz unwahrscheinlich war. — Auch mochten nationale Gründe die Franzosen hier zu leb¬
hafterem Kampfe ermutigen. Es galt, das entrissene Elsaß-Lothringen zurückzugewinnen, und
als man Thann und Umgebung wirklich in Besitz genommen, schien der Landgewinn dem General
Joffre groß genug, die „Honoratioren des Ortes“ zu versammeln und ihnen, „die Elsaß wären, wie
er Frankreich“, die Versicherung zu geben, daß die Wiedervereinigung nunmehr endgültig sei.
(Die Franzosen versichern, daß Joffre ein ebenso großer Schweiger sei wie Moltke!)
Einen ernsteren Charakter hatten die Kämpfe in der Mitte, so bei Soissons, Vailly, Craonne
und auch bei Reims. Von hier aus war „die große Offensive“ geplatlt. Joffre, der sich rühmte,
wenn er 100000 Menschen opfern wollte, die Deutschen ganz siche*1 aus (jem Lande werfen zu
können, opferte in den Kämpfen bei Soissons 150000 und kam doch nicht vorwärts.
* Über die Art ihrer Verwendung sollten noch besondere Bestimmungen getreten werden.
] Von den Deutschen besetzt.
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Die Kämpfe um den Argonnerwald.
Verfolgten die Franzosen mit ihren Angriffen in der west¬
lichen Mitte (Soissons, Craonne, auch Reims) den Plan der
großen „Offensive“ auf die mittlere Maas zu, so galten die
Kämpfe weiter östlich mehr dem Schutze Verduns. Diese
großartig und weitläufig ausgebaute Festung war der Mittel¬
punkt der französischen Verteidigung. Mit ihrem Falle ent¬
stand eine Lücke, die nicht wieder auszufüllen war.
Als die Franzosen den Argonnerwald besetzten, mußten
die Deutschen, die am Fuße des steilen Berges bis Chatel
und Binarville vorgerückt waren, auch die Höhe hinauf¬
dringen und, wenn möglich, die Verbindungsbahn von Verdun
nach Paris erreichen, um die große Festung von der letzten
Eisenbahnverbindung abzuschneiden. Nur durch einen Minen¬
krieg mit Laufgräben und Sappe war langsam vorwärts zu
kommen. Fast sind die Deutschen jetzt am Four de Paris.
Das entgegengesetzte Ziel, nämlich die Bahn den Fran¬
zosen zu erhalten, hatten weiter westlich die steten An¬
griffe von Chalons aus auf Perthes les Hurlus, Souain, Massiges
und andere Plätze. Am hartnäckigsten und täglich sich
steigernd waren die Kämpfe vom 16. Februar bis zum 10. März.
Ihr Ziel war, Vouziers und seine Eisenbahnen zu erreichen
und zugleich damit die deutschen Linien gründlich zu durch-
brechen. Zuletzt kämpften 6 volle Korps gegen 2 deutsche
Divisionen (Rheinländer unter v. Einem). Verlust der Fran¬
zosen 45000 M. gegen 15000 Deutsche. Und doch kein Erfolg!
So mißlangen die französischen Versuche, die Deutschen
hier zurückzudrängen und an die Westseite der Argonnen zu
kommen, im wesentlichen immer. Ebensowenig Erfolg hatten
sie im Osten der Argonnen, bei Vauquois und Malancourt.
Die Schlacht bei Soissons
12. bis 14. Januar 1915.
v. Lochow und Wichura (Armee Kluck),
die auf den Höhen hinter Vregny standen,
beantworten den mißglückten Angriff auf
die rechte Flanke — unter Nebenkämpfen
auf eine bewaldete Höhe und auf Crouy
durch einen stürmischen Gegenangriff auf
der Linken talabwärts bis über Chivres
hinaus.
Verlust der Franzosen 25000 M., dazu
16 schwere und 10 leichte Geschütze. — Die
Franzosen verlieren das rechte Aisneufer,
und die laut verheißene jüngste Offensive
Joffres ist wieder einmal gescheitert. —
Überhaupt verliefen die Gesamtangriffe der
letzten Wochen ergebnislos und kosteten
den Franzosen unverantwortlich viele
Krieger.
Auch die Benutzung der wichtigen Eisen¬
bahn Soissons—Paris hörte an dieser Stelle
damit auf.