Materielle und geistige Rulturfortschritte ic.
die, notdürftig mit allerhand prunkendem Schein überkleidete, Bettel-
haftigkeit und Unsauberkeit so mancher kleinerer Höfe *) einen grellen
Gegensatz. „Die meisten deutschen Fürsten," sagt Hutten, „sind arm
infolge ihres Prassens und Großthuns. Der Hofmann hat feine liebe
Not, seinen knappen Sold von ihnen herauszupressen, und muß oft
im Dienst das ©einige zusetzen." Ju Schmausereien und Trinkgelagen,
namentlich aber auch in hohem Spiel wurden große Summen ver¬
geudet. Der Deutschhochmeister Albrecht von Brandenburg verspielte
auf Einem Reichstage in Nürnberg 600 Goldgulden (6000 Mk.), der
Markgraf Kasimir von Brandenburg hatte 50000 Gulden (öOOOOO Mk.)
Spielschulden. Die jungen Patriziersöhne machten das dann wohl
nach. Gegeu die Spielsucht des Adels und der Geistlichkeit eifern
fortwährend (wie schon in der vorigen Periode) zeitgenössische Schrift¬
steller, z. B. Peter der Suchenwirt. Ebenso schlimm war das über¬
mäßige Trinken. Beim Reichstag 1495 vertilgten einmal 24 Herren
vom Adel auf einen Niedersitz nicht weniger als 175 Maß Wein.
Bort edleren Genüssen, von geistigen Beschäftigungen war tn diesen
Kreisen kanm mehr die Rede. Es war, als hätte der Adel allen Halt
verloren, seitdem das Bürgertum ihn nicht bloß an Wohlstand, son¬
dern auch an Bildung überflügelte.
Freilich kommen auch in den Städten ähnliche Ausschreitungen
wie beim Landadel und an den Höfen vor: Schwelgerei, Kleiderluxus,
hohes Spiel. Nur standen sie hier nicht in so grellem Mißverhältnis,
wie dort, zn dem gewöhnlichen Maßstabe des Lebens. Namentlich
im Punkte der Kleidertracht verlockte der rasch gestiegene Wohlstand
zu mancherlei Übertreibungen und Geschmacklosigkeiten. Ja auch unter
dem Landvolk zeigte sich teilweise die Sucht, den oberen Standen in
Schmuck und Kleidung oder in schwelgerischer Lebensweise es nach-
zuthun. Schon seit der Mitte des 14. Jahrhunderts erscheinen daher
an vielen Orten obrigkeitliche Verfügungen zur Einschränkung dieses
Luxus — „Polizei-, Kleider- oder Luxusordnungen"; die¬
selben wiederholen sich von Zeit zu Zeit bis zum Anfange des 16.
Freytag in feinen „Bildern aus der Vergangenheit des dentschen Volkes" einen
Auszug gegeben hat. Einer der berüchtigsten dieser „Ritter vom Stegreif ' war
im 14. Jahrhundert jener „Epple von Gailingen", dessen das Volkslied gedenkt.
Er lag namentlich mit der Stadt Nürnberg in steter Fehde.
*) Für feinen Herrn, den Herzog von Liegnitz, sollte Schweinigen ein Darlehen
bei dem reichen Fugger erbetteln: dieser schlug es ab, schenkte aber dem Herzog
200 Kronen, einen Becher uni) ein Roß mit SamtdeÄe, was der Herzog „dank-
barlichst annahm". Von der „Unsanberkeit" mancher Höfe erzählt Hutten in feinem
„Dialog über das Hofleben."