fullscreen: Deutsche Poesie von den Romantikern bis auf die Gegenwart

Gottfried Keller. 
664. Abendlied an die Natur. 
1. Hüll ein mich in die grünen Decken, 3. Geliebte, die mit ew'ger Treue 
Mit deinem Säuseln sing mich ein! Und ew'ger Jugend mich erquickt, 
Bei guter Zeit magst du mich wecken Du einz'ge Lust, die ohne Reue 
Mit deines Tages jungem Schein! Und ohne Nachweh mich entzückt: 
Ich hab' mich müd in dir ergangen, Sollt' ich dir jemals untreu werden, 
Mein Aug' ist matt von deiner Pracht; Dich kalt vergessen, ohne Dantk, 
Nun ist mein einziges Verlangen, Dann ist mein Fall genaht auf Erden, 
Im Traum zu ruͤhn in deiner Nacht. Mein Herz verdorben oder krant! 
2. Des Kinderauges freudig Leuchten 4. O, steh mir immerdar im Rücken, 
Schon fingest du mit Blumen ein, Lieg' ich im Feld mit meiner Zeit! 
Und wollie junger Gram es feuchten, Mil deinen warmen Mutterblicken 
Du scheuchteft ihn mit buntem Schein. Ruh auf mir auch im schärfsten Streit! 
b wildes Hassen, maßlos Lieben Und sollte mich das Ende finden, 
Mich zeither auch gefangen nahm, Schnell decke mich mit Rasen zu: 
Doch immer bin ich Kind geblieben, O selig Sterben und Verschwinden 
Wenn ich zu dir ins Freie kam. In deiner stillen Herbergsruh'! 
665. Frühlingsglaube. 
l. Es wandert eine schöne Sage 3. Wo einig alle Völker beten 
Wie Veilchenduft auf Erden um; Zum einen König, Gott und Hirt; 
Wie sehnend eine Liebesklage Von jenem Tag, wo den Propheten 
Geht sie bei Tag und Nacht herum. Ihr leuchtend Recht gesprochen wird. 
2. Das ist das Lied vom Völker— 4. Dann wird's nur eine Schmach 
frieden noch geben, 
Und von der Menschheit letztem Glück, Nur eine Sünde in der Welt: 
Von gold'ner Zeit, die einst hienieden, Des Eigenneides Widerstreben, 
Der Traum als Wahrheit, kehrt zurück. Der es für Traum und Wahnsinn hält. 
5. Wer jene Hoffnung gab verloren 
Und böslich sie verloren gab, 
Der wäre besser ungeboren; 
Denn lebend wohnt er schon im Grab. 
666. Bergfrühling. 
1. Der Lenz ist da, die Lauine fällt, 
Sie rollt mit Tosen und Sausen ins Tal; 
Ich hab' mein Hüttlein daneben gestellt 
Auf grünende Matten am sonnigen Strahl. 
2. Und ob auch die Laue mein Hüttchen 
Und nieder es führt im donnernden Lar— 
Sobald wieder trocken die Alpentrif 
Bau' ich mir singend ein neues auf 
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