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unter den rauchenden Trümmern der stolzen Burgen, in Strömen des Blutes 
vergraben. Aber noch ist dem Volke, wie in seinem äußeren Erscheinen 
die edlere Form, die freie Haltung, so in seinem Munde die Sprache der 
Väter geblieben. Sie begegnet uns hier in Lyon bereits vielfach und um- 
giebt uns bis über Narbonne, wo bereits im französischen Roussillon die 
spanische Sprache herrscht. Noch walten und bewegen sich hier in einzelnen 
Städten und in ganzen Theilen der Landbevölkerung an dem südwestlichen 
Abhange der Sevennen die religiösen Grundsätze, die seit 700 Jahren schon 
sich thätig gezeigt; neben dem Eifer für evangelische Einfachheit und Strenge, 
für calvinistische, strenge Kirchenform oder auch mystische, formlose Er¬ 
bauung ist um so schärfer katholischer Eifer gestellt, angeschlossen an die 
hier wunderbar gedrängten Stätten von Märtyrern und Heiligen der ältesten 
Kirche. Man kann nicht läugnen, hier, wo so viel Blut geflossen zwischen 
den Bewohnern derselben Städte, zwischen dem vielfach protestantischen 
Adel, der so gewaltsam bekehrt oder aus den Grenzen des Landes ver¬ 
trieben ist, sind die Wunden, welche dem materiellen Wohlstand und der 
Freudigkeit des Volkslebens geschlagen wurden, noch nicht vernarbt; sie 
brechen unter andern Bezeichnungen oft wieder los: allen politischen und 
socialen Kämpfen hier im Süden war auch in jüngster Zeit ein religiöses 
Element beigemischt. Aber dennoch ist das von Nordfrankreich aus begrün¬ 
dete Nationalgefühl des Franzosen, als eine Gemeinsamkeit feiner Cultur 
und einer unabhängigen, einflußreichen Stellung dem Auslande gegenüber 
lange durchgedrungen; bildet doch ein Besuch von Paris, ein längerer 
Aufenthalt daselbst eine Art Ideal auch für den kleinsten Bürger einer 
südlichen Stadt, und trägt die Elaste der Proprietaires, die meist in 
Paris oder sonst an einem größeren Platze sich ein mäßiges Vermögen 
erworben und in ihren besten Jahren sich auf einen Landbesitz — das Ziel 
eigentlich eines jeden Franzosen — in ihre erste Heimath oder auch sonst 
in Frankreich zurückziehen, um hier oft in sehr sparsamer Weise mit einer 
Familie zu leben, zur Verbreitung dieser von provinzieller Besonderheit 
losgelösten Cultur bei. Und endlich ist die Bedeutung der südfranzösischen 
Küste seit der Eroberung Algeriens bedeutend gestiegen. Afrika bildet 
schon einen sehr bedeutenden Zielpunkt des französischen, besonders Pariser 
Verkehrslebens, und für dieses werden die Häfen von Südfrankreich deren 
nothwendige Ausgangspunkte; es werden so ganze, verödete, vernachlässigte 
Landstriche im Süden neu beachtet, und der nordfranzösische Verstand, das 
unmittelbare Gefühl für Maß und Ordnung, das Capital, wenden sich 
hier größeren Culturunternehmungen zu. 
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