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Fast möchte man das ganze ägäische Meer wegen seines Reichthums
an Ankerplätzen und Rheden als einen einzigen großen Hafen betrachten.
Und recht wohl könnte man das gesammte Griechenland ein Europa im
Kleinen nennen. Wie Europa durch seine vielfache Gliederung, seine
wunderbare Verkettung des Flüssigen und des Festlandes allen anderen
Theilen der Erde überlegen ist, so ist es Griechenland dem übrigen
Europa. Und wie die europäischen Völker, nachdem sie einmal erwacht
waren, es allen anderen Völkern der Welt in Schifffahrt, Handel, Ver¬
kehr, Thätigkeit, Energie, Cultur und Wissenschaft zuvorthun mußten, so
war, scheint es, das ägäische oder griechische Meer von Haus aus dazu
bestimmt, die erste Wiege und Schule dieser europäischen Thatkraft und
Blüthe zu werden.
Wann und wie sich die erste menschliche Bevölkerung in dieses wun¬
dervolle Becken, über jene anmuthigen Inseln und Halbinseln ergoß, ist
in ein undurchdringliches Dunkel gehüllt. Doch scheint aus der Sprache
der Hellenen so viel ersichtlich, daß sie und ihre Stammväter oder Vor¬
fahren, als welche man die Pelasger zu nennen pflegt, aus Osten über
Kleinasien gekommen sein mußten und dem großen indogermanischen Völker¬
stamm angehörten, der unserm Europa alle seine vornehmsten und geist¬
reichsten Völker gegeben hat. Ihre Sprache zeigt sie uns innig verwandt
mit den keltischen, romanischen, germanischen und slavischen Völkern.
Wie diese, so haben die Griechen ihre Ur- und Herzwurzeln in Indien
und am Himalaya.
Unter welcher Anführung, unter welchen nähern Umständen und Be¬
gebenheiten sich die Altvordern der Hellenen, die sogenannten „Pelasger",
von dort ablösten, wie sie sich schon in dieser ihrer Urzeit hervorthun und
auszeichnen mochten, und wie sie sich dann durch die asiatischen Westlän¬
der und durch Kleinasien hindurch schlugen — dies Alles hat uns Nie¬
mand so genau überliefert, wie z. B. ein Moses die ersten Anfänge und
Ursprünge der Israeliten. Gerade die beiden Völker, welche im Alter¬
thum die größte Bildung und Bedeutung errangen, die Griechen und
Römer, theilen das Schicksal, daß über ihre Urgeschichte und über die
frühesten Bewohner ihrer Länder noch größere Ungewißheit herrscht, als
über manche andere, minder cultivirte Racen, und dies ist zum Theil eine
natürliche Folge eben ihrer frühzeitiger gereiften Cultur und Blüthe, die
alles Vorgefundene und vor Alters dagewesene Barbarische verdunkelte,
überstrahlte, verachtete und bald in Vergessenheit brachte. Alles, was wir
sagen können, ist, daß die sogenannten Pelasger, namentlich aber ihre
Nachfolger — oder Kinder? —, die Hellenen, ein von vornherein mit
trefflichen Anlagen versehenes Barbarengeschlecht gewesen sein müssen, und
daß sie durch ihr gutes Glück in ein Vaterland, in ein Haus eingesührt
wurden, welches zur Entwickelung solcher trefflichen Grundeigenschaften so
günstig wie möglich eingerichtet war, nämlich in jenes bunt gestaltete Bassin
des ägäischen Meeres, das wir soeben mit einigen Zügen charakterisirten.