535 
während es früher vorkam, daß Schiffe, deren Cours nach dem Vorgebirge 
Delawares ging, bis nach Weftindien vom Sturm verschlagen wurden. 
Jetzt, wo man mit Hilfe des Thermometers den warmen Kanal genau zu 
erkennen und zu benutzen weiß, beschleunigt derselbe die Seereise im selben 
Maße, wie er sie früher verzögert hat. 
4. Der Marannon und seine Ufer. *) 
Nach seiner Vereinigung mit dem Ucayale, den man seiner Größe 
willen den Hauptstrom nennen möchte, erlangt der Marannon ein wahr¬ 
haft majestätisches Ansehen. Wenn man diesen Amazonenfluß hinunterfährt 
und ein Hundert Meilen nach dem andern Hundert zurückgelegt hat, so 
ermüdet das Auge endlich über die Gleichförmigkeit der Landschaft, die 
Tage lang immer dieselbe bleibt — aber das geistige Interesse nimmt zu, 
je mehr diese Erscheinungen anwachsen, sich vergrößern und die Größe 
und Erhabenheit einer Natur offenbaren, die nur mit dem Maßstab des 
Ungeheuern sich messen läßt. 
Ein breiter Strom, der bald in zahlreiche Arme gespalten zwischen 
sandigen, aber dennoch hoch bewaldeten Inseln dahinfließt, oder ungetrennt 
in ein seegleiches Becken sich ausdehnt; ein dunkelgrüner Waldrand, der 
auf so ebenem Boden und von tausend Schlingpflanzen übersponnen, in 
der Entfernung fast einer künstlich gezogenen, aber riesengroßen Hecke gleicht, 
das sind die einzigen Bestandtheile dieser landschaftlichen Ansichten. Wahr 
ist es, daß nirgends eine gewerbfleißige Stadt an den Ufern sich erhebt, 
daß man nur nach ein oder zwei Tagereisen einmal ein ärmliches Dorf 
erreicht, dessen Rohrhütten, von halbwilden Menschen bewohnt, schon in 
kurzer Entfernung nicht mehr zu unterscheiden sind; — allein über das 
Ganze spannt sich ein reiner, wolkenloser Himmel, und die Strahlen der 
tropischen Sonne fallen aus eine Natur von so unendlichem Reichthum, die 
Kraft des Lebens spricht allenthalben sich mit solcher Stärke aus, daß der 
Reisende, weit entfernt, die Langeweile einer Seefahrt zu empfinden, mir 
zunehmendem Antheil den Weg fortsetzt und jeden Morgen mit neuer Freude 
die in heiliger Stille ruhende Wildniß begrüßt. Kühl ist dann die Luft 
und das Blätterdach des schwimmenden Hauses träuft von dem Thaue 
der Nacht, als sei eben ein heftiger Platzregen gefallen. Um diese Zeit 
ist höchst selten irgend ein Luftzug bemerkbar, denn die Regelmäßigkeit der 
östlichen Winde ist in den höheren Regionen des Stromes bei Weitem nicht 
so groß, als in den Provinzen, die seiner Mündung näher liegen. Spie¬ 
gelglatt ziehen die Fluthen dahin, und ihre Schnelligkeit ist oft nur aus 
dem beschleunigten Laufe des Fahrzeuges oder dem dumpfen Rauschen ab¬ 
*) Nach Eduard Pöppig.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.