366 X. Europa von der Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches je.
welche am 11. Mai auf den Kaiser abgegeben wurden, trafen
glücklicherweise weder ihn noch die Großherzogin von Baden, die
neben ihrem Vater im Wagen saß. Zahlreich dagegen waren
die Wunden, welche der Kaiser während einer Fahrt Unter den
Linden am 2. Juni erhielt. Entrüstung über solche Verbrechen
durchzitterte das ganze deutsche Volk, das mit inniger Teil-
nähme die langsam fortschreitende Genesung des Kaisers begleitete.
1878 Nach seiner Wiederherstellung und Rückkehr nach Berlin (5. De¬
zember) schrieb der Kaiser in der Neujahrsnacht folgende Worte
nieder:
„Es gehet ein Jahr zu Ende, welches für mich verhängnisvoll
sein sollte! Ereignisse von erschütternder Art trafen mich am
11. Mai und am 2. Juni. Die körperlichen Leiden traten zurück
gegen den Schmerz, daß preußische Landeskinder eine Tat voll-
brachten, die am Schluß meiner Lebenstage doppelt schwer zu
überwinden war und mein Herz und Gemüt für den Rest meiner
Tage finster erscheinen lassen! Doch muß ich mich ergeben in den
Willen Gottes, der dies alles zuließ, aber zugleich seine Gnade und
Barmherzigkeit walten ließ, da er mir nicht nur das Leben erhielt,
sondern mich in einer Weise gesunden ließ, die mich zu meinen
Berufsgeschäften wieder fähig machte. So preise ich Gott für seine
Führung, in der ich zugleich eine Mahnung erkenne, mich zu prüfen,
ehe ich vor dem Richterstuhl des Allmächtigen erscheinen soll. Daher
erblicke ich in den so sichtbar gewordenen Ereignissen eine gnaden-
volle Führung Gottes, die zum Guten führen soll, wie alles, was
von ihm in Leid und Freude uns trifft."
Das noch im September erlassene „Sozialistengesetz" ver-
hängte über Berlin den kleinen Belagerungszustand und suchte
dadurch die Wiederholung ähnlicher Verbrechen zu verhindern.
Kaiser Wilhelm aber erließ „zur Heilung der sozialen
1881 Schäden" am 17. November 1881 eine Kaiserliche Botschaft,
durch welche er eine gesetzliche Regelung und Besserung der
Arbeit erVerhältnisse vom Reichstag forderte. Darin sagt er:
„Wir halten es für unsere kaiserliche Pflicht, dem Reichstage diese
Aufgabe von neuem ans Herz zu legen, und wir würden mit um
so größerer Befriedigung auf alle Erfolge, mit denen Gott Unsere
Regierung sichtlich gesegnet hat, zurückblicken, wenn es Uns gelänge,
dereinst das Bewußtsein mitzunehmen, dem Vaterlande neue und
dauernde Bürgschaften seines inuern Friedens und den Hilfsbe-
dürftigen größere Sicherheit und Ergiebigkeit des Beistandes,
auf den sie Anspruch haben, zu hinterlassen. . . . Daß der Staat
sich in noch höherem Maße als bisher seiner hilfsbedürftigen
Mitglieder annehme, ist nicht bloß eine Pflicht der Humanität und