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unter derselben ist das „Blutgericht", von welchem jedoch nichts schrecklich
ist, als der Name, da es sich hier um das Traubenblut handelt, das in
den weiten Kellerräumen geborgen ist. Es drängt uns aber zur Höhe und
wir besteigen den Thurm, von dessen Gallerie man die schönste Umschau
und Ueberschau von Königsberg genießt. Wir sind nur etwa 100 Meter
über dem Spiegel des Pregel, aber welche weite, umfassende, überraschend
wechselreiche Aussicht bietet uns diese Höhe von 300 Fuß! Wir sehen
über die hohen Giebelhäuser des Löbenicht weit hinaus und tief
hinein in die Gassen, welche sie bilden. Die kolossalen Speicher zu
beiden Seiten des Pregel sind herabgesunken, wie aus einer Land-
karte verzeichnet erblicken wir die Pregelarme, die Kneiphos-Jnsel ein-
schließend; der Spiegel des lang sich hinziehenden, von grünen Baum-
gruppen und Gartenanlagen eingefaßten Schloßteichs liegt malerisch zu
unsern Füßen; auf entgegengesetzter Seite, im Süden und Südwesten
des Kneiphofs, erstrecken sich am linken Ufer des Pregel die vordere und
Hintere Vorstadt, der Haberberg und Nasse Garten. Im Gegensatze zu
dem dichten Häuserknäuel der Altstadt und der Enge des Löbenicht ist
da Alles freier und heller; langgezogene Straßen und breite Zwischen¬
räume, nach Westen hin begrenzt durch den Ost- und Südbahnhof mit
ihren geschmackvollen großartigen Bauten und reizenden Anlagen. Der
Ostbahnhos und Südbahnhof liegen ganz nahe dem Strom, so daß
Land- und Wasserstraße sich berühren und in einandergreifen. Lange
Wagenzüge fahren bis nahe an's Ufer heran, um ihren Inhalt in die
ihrer schon harrenden Schiffe abzugeben. Das rege Handels- und
Verkehrsleben in der Vorstadt, die großen und kleinen Schiffe, welche
auf dem vereinigten Stroni herabkommen und zum Theil in die Arme
desselben eindringen, machen das Stadtbild zu einem der belebtesten
und frischesten.
Die Schiffe, Dampfer und Segler, führen den Blick in's Weite.
Wir folgen dem Strom, der beim Holländerbaum Königsberg verläßt,
nachdem er die Vereinigung seiner Arme vollzogen, auf der kurzen, nur
1 Meile langen Strecke, die er noch bis zur Mündung in's Haff braucht,
sehen die blinkende Wassermasse wie einen gewaltigen Binnen-See sich
dehnen und erblicken dahinter den schmalen Landstreifen, auf welchem
das befestigte Pillau, der Außenhafen Königbergs, liegt, wo die größe-
ren Seeschiffe ihre Ladung löschen. Pillau liegt unmittelbar am Aus-
fluß des Haffs in die Ostsee und beherrscht somit das ganze Haff. Die
Entfernung von Königsberg beträgt 6 Meilen; das Dampfboot führt in
8 Stunden, die Eisenbahn in 1% Stunden dorthin. Pittoresk steigen
vom Boote hier und Eisenwagen dort die Rauchwolken empor, in
ihrem Zuge noch die verschiedene Geschwindigkeit des Waffer- und Land-
fahrzeugs kennzeichnend.
Ueberaus wohlthuend ist der Blick auf das fruchtbare, mit Wäldern
und Seen bedeckte hügelige Samland, das im Norden von Königsberg