Full text: Hohenzollerisches Lesebuch für katholische Volksschulen

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328. Der Kund vom St. Kernhard. 
(Friede, v. Tschudi.) 
Durch ganz Europa ist der Ruhm der Bernhardinerhunde oer' 
breitet. Das sind große, langhaarige, äußerst starke Doggen mit 
kurzer, breiter Schnauze und langem Behänge, von vorzüglichen! 
Scharfsinn und außerordentlicher Treue. Die Heimat dieser edlen 
Tiere ist das Hospiz des St. Bernhard, 2400 m über dem Meeres¬ 
spiegel auf jenem traurigen Gebirgssattel gelegen, wo in der nächsten 
Nähe des ewigen Schnees ein acht- bis neunmonatiger Winter 
herrscht, wo auch in den heißesten Sommermonaten jeden Morgen 
und Abend das Wasser zu Eis erstarrt, und wo im ganzen Jahre 
kaum zehn ganz helle Tage ohne Sturm und Schneegestöber oder 
Nebel vorkommen. Dort fallen bloß im Sommer große Schnee¬ 
flocken, im Winter dagegen gewöhnlich trockene, kleine, zerreibliche 
Eiskristalle, die so fein sind, daß der Wind sie durch jede Tür- oder 
Fensterfnge zu treiben vermag. Diese häuft der Sturm oft, besonders 
in der Nähe des Hospizes, bis zu 10 m hohen lockern Schnee¬ 
wänden an, die alle Pfade und Schlünde bedecken und beim gering¬ 
sten Anstoße als Lawinen in die Tiefe stürzen. 
Die Reise über diesen alten Bergpaß, den schon Augustus zu 
einer Heerstraße machte und Kaiser Konstantin mit Meilensteinen 
besetzte, den die Römer, Langobarden, Franken und Deutschen so 
oft überstiegen, ist nur im Sonuner bei klarein Wetter ganz gefahr¬ 
los, bei stürmischem Wetter dagegen und im Winter, wo die vielen 
Spalten und Klüfte von Schnee verhüllt sind, dem fremden Wandrer 
ebenso mühselig und gefahrdrohend. Alljährlich fordert der Berg 
eine kleine Anzahl von Opfern, die in einem besondern Raume des 
Klosters aufbewahrt und ausgestellt werden. Bald fällt der Pilger 
in eine Spalte, bald begräbt ihn ein Lawinenbruch, bald umhüllt 
ihn der Nebel, daß er den Pfad verliert und in der Wildnis vor 
Ermüdung und Hunger umkommt, bald überrascht ihn der Schlaf, 
aus dem er nicht mehr aufwacht. 
Ohne die echt christliche und aufopferungsvolle Tätigkeit der 
edlen Mönche wäre der Bernhardspaß nur wenige Wochen oder 
Monate des Jahres gangbar. Seit dem achten Jahrhundert wid¬ 
men sie sich der frommen Pflege und Rettung der Reisenden; die 
Bewirtung derselben kostet jährlich 50000 Franken und geschieht 
unentgeltlich. Die festen, steinernen Gebäude, in denen das Feuer 
des Herdes nie erlischt, tonnen in: Notfälle ein paar hundert Men¬ 
schen beherbergen; ebenso ansehnlich sind die Speisevorräte des 
Klosters. Das Eigentümlichste ist aber der stets gehandhabte Sicher¬ 
heitsdienst, den die weltberühmten Hunde wesentlich unterstützen. 
Jeden Tag gehen zwei Knechte des Klosters über die gefährlichen 
Stellen des Passes, einer von der tiefsten Sennerei des Klosters 
hinauf ins Hospiz, ein andrer hinunter. Bei Unwetter oder La¬ 
winenbrüchen wird die Zahl verdreifacht, und eine Anzahl von
	        
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