18 Die europäischen (Staaten nnb ihre Kolonien.
Italienische Auswanderung. Die Erwerbsquellen des Landes reichen nicht hin,
die außerordentlich stark zunehmende Bevölkerung genügend zu ernähreu. Ein großer
Teil der Bewohner sieht sich daher genötigt, die Heimat zeitweise oder dauernd zu der-
lassen, so daß Italien unter allen Staaten Europas, die Auswanderer entsenden, weitaus
an erster Stelle steht (1912: 711 000). Die zeitweiligen Auswanderer begeben sich nach den
Nachbarstaaten: Frankreich, der Schweiz, Deutschland und Osterreich, sogar nach Südamerika,
um sich hier als Erdarbeiter, Maurer usw. zu verdingen. Sie kehren vor Eintritt des
Winters nach Italien zurück. Die uach überseeischen Gebieten Auswandernden wenden sich
hauptsächlich, nach drei Gebieten: den Vereinigten Staaten von Amerika, Südamerika
(Südbrasilien und Argentinien) und Nordafrika. Am stärksten haben unter diesem Menschen¬
verlust Veuetien und die südlichen Provinzen zu leiben; es sind dies die Gebiete des Groß-
gruudbesitzes.
Wirtschaftliche Stellung Italiens. Italien hat in den letzten Jahrzehuteu
in wirtschaftlicher Hinsicht sehr anerkennenswerte Fortschritte gemacht. Die Haupt-
Ursachen hiervon sind: die Herstellung der Alpenbahnen (Mont Eenis, Simplon,
St. Gotthard, Brenner, Emmering), die Eröffnung des Suezkanals und die staat-
liche Einigung. Im Vergleich zu den nördlicher gelegenen Länder Europas hat
Italien freilich in Handel und Industrie nur die Stellung einer Macht zweiten Ranges,
hauptsächlich infolge seines Mangels an Kohle und Eisen.
Tie wichtigsten Gegenstände der Ausfuhr, auch nach Deutschland, sind: Roh¬
seide, Mandeln, Südfrüchte, Trauben und Wein, Hanf, Olivenöl, ferner Eier und
Käse, von Mineralschätzen Marmor und Schwefel. Strohgeflechte, Seidengewebe und
die Erzeugnisse des Kunstgewerbes treten neben ihnen zurück. Italien ist hiernach vor-
herrschend ein Staat der Landwirtschaft. Die Einfuhr umfaßt hauptsächlich Getreide,
Baumwolle und Kohles.
Kolonialbesitz. Italien ist erst uach seiner nationalen Einigung Kolonialmacht ge¬
worden. Sein Außeubesitz umfaßt wenig günstige Gebiete: einen heißen Küstenstrich am
Roten Meere, die sog. e r y t h r ä i s ch e Kolonie, das Somalland und neuestens
Libyen, das frühere T r i P o l i t a n i e n. In der Besetzung der tuuesischen Halbinsel,
die für Italiens Mittelmeerstellung von größtem Werte wäre, ist ihm — trotz der vorwiegend
italienischen Bevölkerung — Frankreich (1881) zuvorgekommen. Die Insel Malta ist englisch,
und Albanien, dessen Besitz Italien zur Herriu der Adria gemacht hätte, ist ein selbständiger
Staat geworden.
Die südosteuropäische Halbinsel.
(-150000 qkrn, 17 Mill. Einw., auf 1 qkrn 40.)
Landesnatur. Der Halbinsel fehlt eine beherrschende Landschaft;
sie zerfällt in ein wirres Durcheinander von Gebirgen, Kesseln und Tiefebenen.
Der Dinarische Gebirgszug ist eine Fortsetzung der Südostalpen, ein Gegen-
stück zum Apennin: ein gefaltetes Kalkgebirge mit schroffen Formen und stufen-
artigem Steilabfall gegen die Adria. Im N ist es noch teilweise bewaldet (daher
Montenegro — schwarzer Berg); im S überwiegen die kahlen, weiß leuchtenden
Kalkfelsen (daher Albanien — weißes Land). Der Runtpf der Halbinsel wird von dem
alten Rumelischen oder Thrakischen Schollenland eingenommen, das durch
x) Dentschland bezog 1912 für 106 Mill. M. Rohseide, 15 Mill. M. Mandeln, 14 Mill. M. Hanf,
12 Mill. M. Südfrüchte, 7 Mill. M. Eier — im ganzen für mehr als 30« Mill. M. Waren, wo¬
gegen uns Italien für 400 Mill. M. abkaufte (Weizen, Leder, Steinkohlen, Kleiderstoffe u.a.)