Der Sieg der Zünfte über die Geschlechter. 207
niederen Zünfte bereit, mit Waffen und Brandfackeln über Leben und Gut
der großen Innungen, der Gewandschneider und Kaufleute, die sich für den Rat,
den Veranlaffer des geistlichen Fluches, in Harnisch gesetzt, herzufallen, als
es dem neuen Erzbischof gelang, die erhitzten Gemüter zu vereinigen. Ein
Vertrag vom 8. Mai verwies die Männer, welche zur Zeit der Ermordung
Burkhards im weiteren und engeren Rate gesessen, ans der Stadt, und
bestimmte durch Beschluß der Schöffen, Ratmannen, Jnnuugsmeister und
Bürgergemeinde, daß fortan jährlich am ersten Fasten-Donnerstage der
Ratsstuhl nicht aus jenen reichen patrizischen Ständen allein^ sondern auch
aus den „gemeinen Innungen und den gemeinen, nicht zünftigen Bürgern"
bestellt werden sollte. Die vornehmen Gilden (die Gewandschneider, Krämer,
Kürschner, Leinwandschneider nnd Lohgerber mit den Schustern) erkoren
durch Ausschüsse fünf Männer zum Ratsstuhl; die Fleischer, Lakenmacher,
Schmiede, Bäcker, Brauer, Goldschmiede, Schilder (Maler) und Schröter
(Schneider) in abwechselnder Ordnung gleichfalls fünf als die „fünf ge¬
meinen" Innungen; alle zehn Erkorenen endlich erwählten nach eidlicher
Verpflichtung vor dem alten Rate und den Meistern auf der „Laube" zwei
geschickte, biderbe Männer aus den gemeinen Bürgern zu sich. Das Über¬
gewicht der ärmeren Bürger im Rate über die Reichen, sieben gegen fünf,
wurde noch entschiedener, da nicht allein den Junungsmeistern der fünf
großen Gilden mit den gemeinen Meistern eine wöchentliche Kontrolle des
Bürgermeisters zustand, sondern bei hochwichtigen Dingen die fünf Rat¬
mannen von den niederen Zünften nicht eher zu Beschlüssen bevollmächtigt
waren, als bis sie ihre „gemeinen Meister", also die Versammlung der
Urfmrger, befragt. Die Beamten des Rats mußten jährlich zweimal öffent¬
lich Rechenschaft ablegen; Leib und Gut verwirkte jeder Übertreter des
Vertrags.
So ging unerwartet aus der gegenkirchlichen Bewegung diejenige volks¬
tümliche Verfassung hervor, welche ohne wesentliche Veränderung drei
Jahrhunderte lang, bis auf das „trojanische" Verhängnis des 14. Mai
1631, Ehre, Wohlfahrt und freudigen Bürgermut Magdeburgs bewahrt
hat. Die tierbürgerrechteten adeligen Familien wichen freilich damals aus
der nun plebejischen Stadt.
Nach und nach vollendete sich unter dem Einflüsse des Streites Kaiser
Ludwigs und des päpstlichen Stuhles zu Avignon auf die Stimmung des
Bürgertums das Geschick der Ratsgeschlechter in allen Städten, zuerst in
den schweizerischen, ober- und mittelrheinischen und schwäbischen.
In Straßburg, wo ungeachtet des Hasses, den Bischof Berthold gegen
den gebannten Kaiser hegte, die Geistlichen gezwungen wurden, entweder
„fürbaß zu singen (den Gottesdienst fortzusetzen) oder aus der Stadt zu
springen", gerieten am 20. Mai 1332 bei einer Festlichkeit die zwieträchti-
gen Geschlechter der Zorne, Anhänger des Papstes, und der Müluheime,
auf kaiserlicher Seite stehend, trunkenen Mutes in eine blutige Schlägerei,
erfüllten die Gassen mit Mord, selbst den zum Frieden mahnenden Meister