Full text: Vom Westfälischen Frieden bis auf unsere Zeit (Teil 3)

Deutsche Zustände gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts. 
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Der politische Zusammenhang war, seit zwei Großstaaten nebenein- 
ander standen, noch lockerer als bisher geworden, während sich der 
völlige Verfall des Reichsheerwesens im siebenjährigen Kriege erwiesen 
hatte. Der Reichstag in Regensburg vergeudete die Zeit in endlosen 
Beratungen über nichtige Gegenstände; das Reichskammergericht, das 
in Wetzlar seinen Sitz hatte, wurde berüchtigt durch die Verschleppung 
der Prozesse. Die Fürsten der Mittel- und Kleinstaaten schalteten Die Emzel- 
als souveräne Despoten in ihren Landen. Wie Sachsen unter der ftaaten' 
Verschwendung Augusts III. und des Grafen Brühl, so mußte die 
Pfalz unter der launischen Willkürherrschaft Karl Theodors, Württem- 
berg unter der Karl Eugens leiden. Luxus, Sittenlosigkeit und Miß- 
achtung des Rechts herrschten an vielen deutschen Höfen, auch an 
denen geistlicher Herren. Mehr als ein deutscher Fürst verkaufte seine 
Landeskinder als Soldaten an England, das für den nordamerikani¬ 
schen Krieg Truppen brauchte. *) Immerhin mehrte sich gegen Ende 
des Jahrhunderts die Zahl der Fürsten, welche, dem Vorbilde Fried- 
richs des Großen und Maria Theresias nachstrebend, durch gemein- 
nützige Thätigkeit die Bevölkerung wirtschaftlich und geistig zu heben 
suchten. 
So wenig es eine nationale Politik gab, so wenig vermochte Mangel des 
sich ein nationaler Sinn zu entwickeln. Die Siege Friedrichs des gMls"und 
Großen hatten in weiten Kreisen Begeisterung erzeugt, die aber der Swals- 
nur der Person des Helden galt2), nicht seinem Staate. Es fehlte 9emnun8' 
überhaupt an bewußter Staatsgesinnung. Es lag im Geiste des 
aufgeklärten Absolutismus „alles für, nichts durch das Volk" zu 
thun, es zu gängeln und zu bevormunden, in alle Zweige des natio¬ 
nalen Lebens regelnd einzugreifen; so wurde der Geist selbständiger 
Thätigkeit unterdrückt, Nationalgefühl und Nationalgesinnung im 
Keime erstickt. Dem Staatsleben fern, lebte der Bei weitem größte 
Teil des deutschen Volkes in der Enge kleinlicher Verhältnisse, eine 
Nation von „ Privatmenschen", beschäftigt mit der Sorge für ihre 
wirtschaftlichen Interessen oder aber versenkt in die Pflege der schönen 
Litteratur, in die Welt der Ideen. 
Denn in dieser Zeit, wo von einem nationalen Staat nicht die National- 
Rede war, war eine nationale Litteratur erstanden: auf prote- sttteratur- 
stantischem Boden wurzelnd, getragen von dem gebildeten Bürgertum, 
eng verwachsen mit der neu belebten Begeisterung für das Griechen- 
1) Unter benen, bte bamals gezwungen nach Canaba gingen, befand 
sich Johann Gottsrieb Seume. Vgl. auch bie Episobe in Schillers „Kabale 
unb Liebe". 
2) „So war ich benn auch preußisch, ober um richtiger zu reden, 
fritzisch gesinnt", schreibt Goethe in „Dichtung unb Wahrheit"; „benn was 
ging uns Preußen an!" 
Neubauer, Lehrbuch der Geschichte. III. Teil. 5
	        
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