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Kriegszucht auf das Vaterlands- und Ehrgefühl gründen durfte, daß
die Behandlung der Soldaten menschlicher wurde. Während bisher
jeder 16 jährige Fähnrich, jeder rohe Unteroffizier einen altgedienten
Soldaten wegen eines geringen Exerzier- oder Putzfehlers halb zu Tode
prügeln durfte, sollten fortan die körperlichen Strafen aufhören und
durch Freiheitsstrafen ersetzt werden. Noch eine andere Folge hatte
die Entfernung der Ausländer. Bisher hatten nämlich die Ausländer
jede freiere Bewegung des Heeres im Kriege verhindert; im zerstreuten
Gefecht hatten sie sich auf Nimmerwiedersehen zerstreut. Jetzt konnte
mit der alten Kriegführung (der Lineartaktik) gebrochen und die Form
des zerstreuten Gefechtes geübt werden.
Daß für eine bessere Kleidung und Bewaffnung der Soldaten
gesorgt wurde, ist selbstverständlich.
Ferner wurden die Offizierstellen jedem Soldaten zugänglich.
Bisher hatte allein der Adel das Anrecht auf militärische Ehrenstellen
besessen. Damit waren alle Anlagen und Kräfte der übrigen Nation
für das Heer verloren gegangen. Der Adel aber hatte gar nicht
mehr für nötig gehalten, sich militärische Kenntnisse und Fertigkeiten
anzueignen, da seine Geburt und eine lange Lebensdauer ausgereicht
hatten, ihn zu den höchsten Ehrenstellen emporzutragen. So war es
gekommen, daß die Offiziere in ihrer Bildung gegen alle anderen Stände
weit zurückgeblieben waren, daß sie wegen ihres Mangels an guter Sitte,
wegen ihres Hochmuts gegen den Bürger, wegen ihrer Roheit gegen die
Untergebenen im Verruf standen. Um diesen Mißständen abzuhelfen,
sollten hinfort die Adeligen keinen Vorzug mehr haben; jeder Soldat
konnte General werden. In Friedenszeiten sollten allein Kenntnisse
und Bildung, in Kriegszeiten Tapferkeit, Tätigkeit und Überblick ein
Anrecht auf die Offizierstellen gewähren.
Scharnhorst wollte nicht nur die Ausländer aus dem Heere
verbannen, sondern auch noch in einem anderen Sinne ein Volks¬
heer schaffen, insofern nämlich, als alle gesunden Männer des Volkes
durch die Schule des Heeres hindurchgehen sollten; er wollte den
Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht, den bereits Friedrich Wilhelm I.
ausgesprochen, zur Geltung bringen. Er hoffte nämlich, daß die
allgemeine Wehrpflicht der Verweichlichung der Gelehrten und Ge¬
werbetreibenden entgegenarbeiten, die Kluft zwischen den verschiedenen
Ständen ausfüllen und in jedem einzelnen das Gefühl erwecken werde,
er müsse für die Erhaltung des Staates mit ganzer Kraft eintreten,
ja, wenn nötig sein Leben lassen. Aber dem Vorschläge Scharnhorsts
die allgemeine Wehrpflicht einzuführen, versagte der König seine
Zustimmung; eine umfassende Einberufung sollte nur im dringendsten
Notfälle stattfinden. Erst nach dem Feldzuge von 1814 wurde mit den
Worten Friedrich Wilhelms I.: , Jeder Eingeborene ist zur Verteidigung
des Vaterlandes verpflichtet“ — Ernst gemacht.
Gar zu gern hätte Scharnhorst eine Reservearmee geschaffen,
eine Landwehr für die Zeit des Krieges. Aber zu diesem Ziel war
der gerade Weg versperrt, da Preußen durch den Tilsiter Frieden
die Verpflichtung auferlegt war, nicht mehr als 42 000 Mann unter
Waffen zu halten. Um trotz dieser Fessel eine große Zahl von Truppen
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